Nach rund einem Jahr Spielzeit zieht Aisata Blackman, Darstellerin von Tina Turner im Stuttgarter Erfolgsmusical „TINA“, eine überaus positive Bilanz – und das im Hinblick auf die Show, das Publikum und die Stadt. Im Interview mit top magazin gibt die gebürtige Niederländerin vielschichtige Einblicke in ihre Arbeit.
top: Aisata, Sie sind seit Jahren als Sängerin und Musicalstar auf Erfolgskurs. Dass Sie den Flughafenjob seinerzeit an den Nagel gehängt haben, war offensichtlich die richtige Entscheidung.
Aisata: Absolut, darüber bin ich heute noch glücklich. Allerdings war es keine Entscheidung von heute auf morgen. Ich hatte ehrlich gesagt schon ein wenig Angst, den sicheren Job aufzugeben. Aber nach fünf Jahren war ich von meiner Leidenschaft und meinem Talent so fest überzeugt, dass ich mir gesagt habe: Ok, jetzt habe ich den Mut zu springen – mal sehen, ob ich auch fliegen kann.
top: Sie sind aber nicht sofort ins Musicalfach gegangen?
Aisata: Nein, ich habe verschiedenste Gesangsprojekte umgesetzt. Irgendwann bin ich dann beim Musical gelandet und habe schnell gemerkt, dass mir dieses Genre sehr liegt.
top: Was macht für Sie den Reiz des Musicals ganz allgemein aus?
Aisata: Mir gefällt besonders die tolle Kombination aus Gesang, Tanz und Schauspiel. Man kann im Musical in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen, um eine Geschichte zu erzählen.
top: Haben Sie musikalische Vorbilder?
Aisata: Ja, eine ganze Menge. Zum Beispiel Whitney Houston, die US-amerikanische Gospel-Gesangsgruppe The Clark Sisters und selbstverständlich Tina Turner. Ich mag auch sehr den venezolanischen Salsa-Musiker Oscar D’León und die Jazzsängerin Rachelle Farrell. Was alle eint ist die Tatsache, dass sie neben ihrem Gesang auch exzellente Performer auf der Bühne sind oder waren.
top: Haben Sie selbst auch eine Gesangsausbildung absolviert?
Aisata: Nein. Ich habe zwar Gesangsunterricht genommen, mir aber ansonsten alles selbst auf der Bühne beigebracht. Learning by doing also. Ich bin eigentlich eine klassische Autodidaktin.
top: Seit einem Jahr stehen Sie in Stuttgart im Stage Apollo Theater als Tina Turner auf der Bühne. Wie fällt Ihr bisheriges Resümee aus – auch was die Stadt anbelangt?
Aisata: Meiner Meinung nach hat Stage Entertainment hier mit „TINA“, wie schon in Hamburg, eine absolut sehenswerte Show auf die Bühne gebracht. Das Publikum ist jedenfalls – so mein Eindruck – begeistert. Und was Stuttgart anbelangt: Ich liebe diese Stadt, sie hat mich schon beim ersten Mal – das war 2017 – in ihren Bann gezogen. Ich habe meinen festen Wohnsitz seit 2019 in Stuttgart und bin sehr froh, hier nun auch arbeiten zu können. Es gibt für mich in der Stadt auf jeden Fall noch eine ganze Menge zu erkunden.
top: Bereits in Hamburg haben Sie in dieser Rolle brilliert und von dort sicherlich viele Erfahrungen mit nach Stuttgart genommen.
Aisata: Auf jeden Fall. In Hamburg habe ich mich erstmals mit der Rolle und der Person Tina Turner beschäftigt und zu diesem Zweck auch viele Interviews und Auftritte von ihr angeschaut, um quasi in ihr Inneres einzutauchen und der Rolle dadurch mehr Tiefe zu geben. Bis heute entdecke ich jeden Tag etwas Neues in der Rock- und Popikone. Selbstverständlich habe ich in Hamburg auch die ganzen Songs und Tanzschritte gelernt.
„Am Ende geht es doch immer um den Menschen und um menschliche Gefühle“
top: Was bedeutet diese Rolle für Sie ganz persönlich? Es gibt ja durchaus ein paar Parallelen zwischen Ihnen und Tina Turner.
Aisata: Ihr Leben zeigt mir immer wieder aufs Neue, dass es nie zu spät ist, im Leben etwas zu verändern und einen anderen Weg einzuschlagen. Ich selbst habe noch so viele Träume und Pläne. Die Gesellschaft sagt einem zwar immer, man müsse irgendwann aufhören zu träumen. Aber das ist falsch. Man muss nur an sich selbst glauben und den Mut haben, den entscheidenden Schritt zu wagen. Die „Queen of Rock ‘n‘ Roll“ ist hierfür der beste Beweis – nicht nur aufgrund ihrer Karriere als Sängerin, sondern auch angesichts ihres über viele Jahre mehr als schwierigen Privatlebens. Sie hat in jeder Hinsicht Grenzen durchbrochen und ist ein großes Vorbild für unsere Gesellschaft und speziell auch für alle People of Colour.
top: Sehen Sie in Sachen Diversität einen gesellschaftlichen Wandel?
Aisata: Es tut sich auf jeden Fall etwas, als Gesellschaft haben wir aber noch einen weiten Weg vor uns. Das gilt auch für die Kultur und die Rollenbesetzungen. Wenn es zum Beispiel tatsächlich wichtig ist, dass bestimmte Rollen dezidiert mit weißen oder schwarzen Darstellerinnen und Darstellern besetzt werden, soll es so sein. Aber bei vielen Charakteren kommt es überhaupt nicht auf die Hautfarbe an, sondern vielmehr auf die zu erzählende Geschichte. Am Ende geht es doch immer um den Menschen und um menschliche Gefühle. Und die sind doch nicht an eine Hautfarbe gebunden. Ich konnte im Herbst 2022 zum Beispiel im Staatstheater Kassel die Rolle der Diana Goodman im Musical „Next to normal“ übernehmen. Das hätte ich mir zwei oder drei Jahre zuvor nie vorstellen können. Die Rolle war bis dahin immer mit einer weißen Darstellerin besetzt worden.
top: Wo müsste man ansetzen, damit dieser Veränderungsprozess hinsichtlich der Rollenbesetzungen noch schneller voranschreitet?
Aisata: Dort, wo die ersten Entscheidungen für eine Produktion getroffen werden. Wenn in den Führungsetagen nur „weiße Männer“ sitzen, kann dies nicht im Sinne der eigentlich wünschenswerten Diversität sein. Das gilt neben der Kultur zweifelsohne auch für viele weitere Bereiche. Aber je selbstverständlicher Diversität in jeder Hinsicht auf Bühnen, in Filmen oder im Fernsehen wird, desto mehr prägt dies auch den gesellschaftlichen Wandel. Die Kultur hat in diesem Punkt eine wichtige Vorbildfunktion.
top: Sie stehen in der Show drei Stunden auf der Bühne, performen etwa 25 stimmlich anspruchsvolle Songs und haben zudem anstrengende Tanzeinlagen zu bewältigen. Wie sieht bei Ihnen jeweils am Tag die Vorbereitung aus und wie erholen Sie sich danach?
Aisata: Ich versuche, gut zu schlafen und nehme tagsüber möglichst keine Termine wahr. Außerdem höre ich in meinen Körper hinein, um zu erspüren, was er braucht. Beispielsweise ein Stretching oder sonstige Dehnübungen. Darüber hinaus mache ich einen ersten Stimmcheck. Ebenso achte ich
darauf, genügend zu essen und zu trinken sowie nicht zu viel zu sprechen. Deswegen gehe ich oft auch nicht ans Telefon, weil meine Stimme die nötige Ruhe braucht. Nachmittags gehe ich dann ins Theater und wärme meinen Körper wie auch meine Stimme auf. Nach der Show folgt je nach Bedarf ein cool down, danach geht es nicht zu spät ins Bett. Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil ich oft noch so viel Energie in mir habe. Eine solche Bühnenrolle ist wie Leistungssport und erfordert sehr viel Disziplin.
„Ich bin selbst gespannt, was kommt“
top: Verändert sich die Rolle, wenn man jeden Abend auf der Bühne steht?
Aisata: Die Geschichte an sich nicht, aber in einzelnen Momenten reagiert man einfach anders, weil man sich selbst nicht jeden Tag gleich fühlt, anders an eine Szene herangeht und auch die Interaktion des Ensembles variiert. In gewisser Weise entsteht also jeden Tag etwas Neues. Man muss also in jedem Moment höchst präsent sein, um die Schwingungen perfekt aufzunehmen.
top: Gibt es während der Laufzeit eines Musicals noch viele Proben?
Aisata: Eigentlich nur bei einem Cast-Wechsel. Manchmal nimmt man sich auch noch einzelne Szenen und Choreografien vor. Wir bekommen jede Woche noch Rückmeldungen seitens der Künstlerischen Leitung, die uns sagt, worauf wir im Detail möglicherweise noch besser achten sollten.
top: Wie nehmen Sie das Stuttgarter Publikum wahr?
Aisata: Es ist unglaublich aufmerksam und springt an vielen Abenden am Ende förmlich auf, um bei „Simply the Best“ mitzuklatschen und sich im Takt der Musik zu bewegen. Die Bühne und der
Zuschauerraum explodieren förmlich.
top: Was hat der Tod der Ausnahmekünstlerin in Ihnen ausgelöst?
Aisata: Es hat meiner Darstellung wie auch derjenigen des ganzen Ensembles noch mehr Intensität verliehen. Tina Turner war schließlich maßgeblich in die Entstehung des Musicals mit einbezogen, um ihre Lebensgeschichte so authentisch wie möglich umzusetzen und zu erzählen. Diesem Anspruch wollen wir bestmöglich gerecht werden.
top: Wie geht es nach „TINA“ für Sie weiter? Welche Projekte stehen an?
Aisata: Dazu kann ich momentan noch nichts sagen. Mein Fokus liegt voll und ganz auf meinem aktuellen Job. Ich bin selbst gespannt, was kommt.
Das Gespräch führten Matthias Gaul und Kirsi Fee Wilhelm
Zu Aisata Blackman
1979 geboren als Tochter einer Mutter aus der niederländischen Karibik und eines Vaters aus Suriname, ist Aisata Blackman dem (Musical-) Publikum aus zahlreichen Produktionen rund um den Globus bekannt. Die stimmgewaltige Niederländerin tourte zum Beispiel als Solistin mit Soul of Motown in Dubai, den Niederlanden, Belgien sowie Deutschland. Das deutsche Publikum kennt Aisata aus „Showboat“ bei den Bad Hersfelder Festspielen, als Apollo Girl bei „Rocky“ im Stage Palladium Theater Stuttgart oder als Deloris van Cartier bei „Sister Act“ im Stage Theater des Westens Berlin. Mit „Sister Act“ ging sie 2016/17 auf große Deutschlandtournee. Im deutschen Fernsehen begeisterte sie 2012 bei „The Voice of Germany“. Im Rahmen der Show nahm sie eine Coverversion der Single „Take On Me“ auf und landete damit einen großen Hit. Sie stand als Rachel Marron (Whitney Houston) in „Bodyguard“ im Stage Palladium Theater Stuttgart auf der Bühne und als Zahara in „Bat out of Hell“, dem Musical mit den Hits von Meat Loaf, im Stage Metronom Theater in Oberhausen. Im Herbst 2022 feierte Aisata in der Hauptrolle des Musicals „Next to normal“ als Diana Goodman Premiere im Staatstheater Kassel. Vorher hatte aber bereits eine neue Etappe in ihrer Karriere begonnen, die auch aktuell noch andauert: Ab 2021 verkörperte sie die Rock- und Popikone Tina Turner in dem Musical „TINA – Das Tina Turner
Musical“ im Stage Operettenhaus in Hamburg, von wo aus sie mit dieser
Rolle im März 2023 in ihre Wahlheimat Stuttgart wechselte.