Interview mit Prof. Dr. Thomas Druyen

Im Interview mit unserem Magazin gibt Prof. Dr. Thomas Druyen, Gründer des Instituts für Zukunftspsychologie und 

Zukunftsmanagement, Einblicke in seine Arbeit. Er spricht unter anderem über die Bedeutung der Zukunftspsychologie, wie man aus der Zukunft lernen kann und diskutiert außerdem die Herausforderungen, die sich aus dem Einsatz von KI ergeben.

Prof. Dr. Dryuen

top: Herr Prof. Druyen, was hat Sie dazu inspiriert, sich auf das Feld der Zukunftsforschung zu spezialisieren und wie würden Sie Ihre persönliche Mission in diesem Bereich beschreiben?

Druyen: Gute Frage! Vor einigen Jahren ist mir immer klarer geworden, dass wir die Zukunft fast immer schon Jahre oder Jahrzehnte vorher kennen. Sie zeigt sich eindeutig. Nehmen wir den demografischen Wandel oder die ökologische Herausforderung. Selbst den Krieg in der Ukraine hat Putin schon 2004 bei einer Sicherheitskonferenz in Aussicht gestellt. Die Themen sind absolut aktuell und die beiden ersten sind uns seit 50 Jahren als Herausforderung bekannt. Wie kann das sein, dass wir so lange schlafen, verdrängen und ignorieren? Diese Verzögerung und dieses Lösungsdilemma wollte ich nicht länger hinnehmen. So haben wir im Jahre 2015 das Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement gegründet, um die Zukunft beim Schopfe zu packen, wenn sie zum ersten Mal auftaucht. Daher nennen wir dieses Feld auch Zukunftspsychologie und nicht Zukunftsforschung. Die Zukunft kennt niemand, aber es gibt präzise Anzeichen, die wir lesen lernen müssen. Das eigentliche Problem ist, dass wir die Zukunft kennen, aber nicht danach handeln. 

top: Welche Methoden und Ansätze verwenden Sie, um zukünftige Entwicklungen und Trends in verschiedenen Bereichen zu prognostizieren? 

Druyen: Wir haben einen Zukunftskompass entwickelt. Das sind Fragen zu verschiedenen Lebensbereichen, die alle erst in frühestens zehn Jahren beginnen. Es geht darum, die Menschen zu bewegen, das hier und jetzt gedanklich zu verlassen, um ins eigene Unbewusste, ins Träumen, ins Phantasieren und ins Imaginieren zu kommen. Nach über zehntausend Beispielen wissen wir, dass die Menschen so viel mehr zu sich selbst und zu ihrem inneren Wollen vorstoßen. Eine 50-jährige Frau antizipiert ihr Leben mit 60 Jahren, privat, beruflich, gesundheitlich und so weiter. Wir nutzen 40 verschiedene Lebensbereiche. Jeden einzelnen betrachtet man von verschiedenen Seiten. Wie sieht das optimale Alter mit 60 aus, was ist, wenn man total krank wird, wie denken Familienangehörige dann darüber und so weiter. Es werden alternative und zukünftige Lebensoptionen durchgespielt, die eine enorme Stärkung der Widerstandskraft erzeugen. Es handelt sich daher um eine Zukunftspsychologie, weil die Interviewten und die Wissenschaftler tief in die Emotionen und ins Bewusstsein der Menschen eindringen und einen authentischen Blick auf ihr Wollen, ihr Hoffen und ihr Mindset erhalten. Wir erarbeiten somit keine Zukunftsprognosen, sondern echte Zukunftsoptionen.  

„Globales Agieren ist die einzige Lösung für die Zukunft“

top: Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Aus der Zukunft lernen“. Das klingt an sich paradox, denn die Zukunft kommt ja jeden Tag neu auf uns zu. Wie kann das Lernen aus der Zukunft also überhaupt funktionieren?

Druyen: Ich hatte schon angedeutet, dass wir die Zukunft vorgängig kennen. Aus den Interviews wissen wir, dass Menschen früh spüren, ob Beziehungen und Freundschaften scheitern, ob Krankheiten bevorstehen oder der Bauch intuitiv ahnen lässt, was bald kommt. Wenn ein Mensch langsam merkt, die Augen werden schlechter oder das Hören, dann dauert es im Durchschnitt zehn Jahre, ehe man wirklich ultimativ handelt. Für den möglichen Burnout oder eine aufkeimende Depression gibt es immer zahllose Anzeichen. Insofern besteht gar kein Zweifel daran, dass wir die Zukunft vorher kennen und somit auch aus ihr lernen können. Dass die Babyboomer jetzt in Rente gehen, wissen wir seit vielen Jahrzehnten. Dies hätten wir in Richtung Rente, Arbeitsmarkt und Gesundheitssystem präventiv und vorausschauend gestalten können. Wir haben das Zukunftswissen nicht genutzt und die Lösungen immer nur halbherzig angerissen. Jetzt kostet es Milliarden Euro und eine belastbare Lösung ist nicht in Sicht. 

top: Welche aktuellen globalen Trends und Herausforderungen haben Ihrer Meinung nach die größte Auswirkung auf unsere zukünftige Gesellschaft und Wirtschaft?

Druyen: Durch die Globalisierung, die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz ist die alte, westlich-orientierte Weltordnung an ihre Grenzen geraten. Die exponentielle Beschleunigung der Technologie steht allen zur Verfügung und so sind jetzt China, Indien, aber auch andere Regionen der Welt auf Handlungshöhe. Die Notwendigkeit der Kooperation, der Synergie und des gemeinsamen, globalen Agierens ist die einzige Lösung für die Zukunft. Wenn wir diese zukünftige Lektion nicht umsetzen, geht es weiter in Richtung Destruktion und Selbstvernichtung. Kriege überall, fundamentale Ungerechtigkeit, Armut als Hauptverursacher der Ungleichheit und so weiter. Selbst die ehemalige Ordnungsmacht USA befindet sich politisch im Bürgerkrieg. Die Politik verliert sich im andauernden Floskelkarussell und sie scheint weder aus der Vergangenheit noch aus der Zukunft zu lernen. 

top: Wie können Unternehmen und Regierungen die Erkenntnisse der Zukunftsforschung nutzen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und sich auf zukünftige Entwicklungen vorzubereiten?

Druyen: Wir sollten zwischen Unternehmen und Regierungen unterscheiden. Da geht es um völlig verschiedene Funktionen und Verantwortungen. 90 Prozent unserer Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen. Sie sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Regierungen kommen und gehen und sie denken ausnahmslos kurz- und eigensichtig. Dennoch bieten die Ergebnisse der zukunftspychologischen Forschung  für beide verwertbare Impulse. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass sich Bürgerinnen und Bürger sowie Kundinnen und Kunden
vor allem emotional verhalten. Und wenn sie weder Nutzen noch Sinn erkennen, steigen die Frustration und die Gleichgültigkeit. Diese Lethargie trifft die Politik gravierend: 40 Prozent gehen gar nicht mehr zur Wahl, die Jungen unter 20 nehmen die Politiker nicht mehr ernst, obwohl sie politisch interessiert sind. All dies schreit nach fundamentaler Selbstüberprüfung und Veränderung. Da ist die Perspektive, aus der gewollten Zukunft heraus zu entscheiden, nicht der schlechteste Rat. 

top: Wie kann KI dazu beitragen, Unternehmen bei der Bewältigung von Unsicherheiten und unvorhersehbaren Entwicklungen zu unterstützen?

Druyen: Künstliche Intelligenz ist die Inkarnation der Chance, aus der Zukunft zu lernen. Der Begriff und die Möglichkeit, das menschliche Denken zu automatisieren, entstand 1956 bei einer Konferenz von Experten und Visionären am Dartmouth College in New Hamsphire. Seither verändern Computer, Internet, Smartphones, Big Data und KI unsere Wirklichkeit und unser Lebensbetriebssystem exponentiell, also immer schneller. Wir alle sind Zeugen dieses Prozesses und die jungen Generationen sind schon digitale Eingeborene, die souverän und blitzschnell agieren, ohne es gelernt zu haben. Sie haben sich diese Kompetenz durch kindliches Spielen, permanentes Machen und Nutzen angeeignet. Neuheiten und Transformationen verunsichern Gesellschaften, vor allem, wenn sie von älteren Generationen dominiert werden. Man hält gerne am Gewohnten und Bewährten fest. Das war und ist unser Dilemma. Wir haben wenig Mut für Experimente, für Risikoinvestments, für große Anstrengungen, deren Erfolg oder deren Rendite nicht sicher sind. Dieses Mindset ist nach Jahrzehnten des großen Gewinns plötzlich veraltet und rückwärtsgewandt, bald schon ein Rohrkrepierer. Unsicherheit, Überraschungen und Fehler werden in der KI- geprägten Welt zu Bausteinen des Lernens. 

top: Welche ethischen Überlegungen und Herausforderungen ergeben sich Ihrer Meinung nach aus dem Einsatz von KI?

Druyen: Diese Frage galt auch für Keulen und für Messer. Sie entscheidet sich immer und ausnahmslos bei der Verwendung und mit dem menschlichen Einsatz. Kein Messer ist von Natur aus böse und natürlich auch keine künstliche Intelligenz. Wie wir sie nutzen, bestimmt den ethischen Reifegrad. Das ist zweifellos ein komplexes und zweischneidiges Thema. Aber es zeigt, dass wir selbst am Ende immer verantwortlich sind. Nehmen wir das Beispiel Datensicherheit versus Patientensicherheit. Sie haben einen Notfall: Die Leitstelle der Rettung hat sofort alle Ihre Daten verfügbar und über das Smartphone und die Bilderkennung wissen die Rettungskräfte sofort, wer Sie sind, welche Vorerkrankungen Sie hatten und was jetzt zu tun ist. Dies dient hundertprozentig Ihrer Gesundheit und Ihrer Rettung. Liegen diese Daten nicht vor, hat man zwar die Privatsphäre hermetisch geschützt, aber man verliert Zeit oder im dramatischen Endeffekt sogar viel mehr, zum Beispiel bei einem Hirnschlag. Die ethischen Herausforderungen sind die eindeutige Feststellung des Nutzens für den Menschen. Blinde Datensicherheit dient nur einer Illusion von Privatsphäre. Warum wurde die Künstliche Intelligenz von Menschen erfunden? Um Kompetenzen, die wir nicht haben, zu kompensieren und weit über die eigenen Fähigkeiten hinaus zu entwickeln. 

top: Wie verändert die KI möglicherweise unsere Psyche?

Druyen: Gravierend. Wir beobachten das schon eine längere Zeit bei Kindern und Jugendlichen. Da ist die Veränderung schon Realität und längst noch nicht abgeschlossen. Durch die frühen, naiven und spielerischen Erfahrungen mit Smartphones und virtuellen Geräten im Alter von drei, vier oder fünf Jahren verändert sich das Gehirn. Hier wird nicht mehr mit Wissen gelernt, sondern mit permanenten Experimenten und blitzschnellen Entscheidungen. Jugendliche und junge Erwachsene ticken tatsächlich anders. Sie haben durch den Aufenthalt in virtuellen Welten, durch überwiegend digitale Kontakte, durch die Verwendung von Avataren und sekündlichen Austausch von Botschaften und Bildern einen neuen Realitätszugang. So verändern sich Psyche und Mindset. Dies wiederum hat Einfluss auf ihr Wertesystem. Diese Vorgänge sind im Kern der Forschungsgegenstand unserer Zukunftspsychologie. 

top: Welche Rolle spielen Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte in Ihrer Arbeit als Zukunftsforscher insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel und die Ressourcenknappheit?

Druyen: Die Rolle ist zentral, denn wir sehen gerade beim Thema Nachhaltigkeit, wie fundamental die Verdrängung und Ignoranz wirken. Das ist gefährlich, denn es führt zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen. Die ökologischen Dimensionen sind seit 50 Jahren wissenschaftlich bekannt. Wir sehen wieder das Muster: Wir erkennen etwas, handeln aber nur halbherzig. Die naturbedingte Logik der Nachhaltigkeit kennen die Menschen seit Jahrtausenden. Insofern interessieren wir uns für die zukunftspsychologische Frage: Warum handeln Menschen wissentlich gegen ihre Interessen und Wertevorstellungen? Im psychologischen Sinne geht es um Vorhaltigkeit. Es macht absolut Sinn, sich vorausschauend zu verhalten, um die Lebensgrundlagen der Nachfahren positiv oder verbessert zu gestalten. Warum tun viele das Gegenteil? Diese Frage beschäftigt uns unentwegt.  

top: Sie forschen seit Jahren auch zu den Themen Reichtum und Vermögen. Worin besteht für Sie darin der Unterschied?

Druyen: Die Vermögensforschung und die Vermögenspsychologie sind seit über 20 Jahren mein Steckenpferd. Und alles fing mit dieser Unterscheidung von Reichen und Vermögenden an. Wir hatten damals ein großes Dilemma: Sehr reiche Personen hatten keine Lust, sich von Soziologen und Psychologen interviewen zu lassen. Wir hatten aber ebenso keine Lust, über Menschen zu forschen, die wir persönlich gar nicht kannten. So brachte uns eine Idee von Aristoteles, dass Vermögen weit mehr umfasst als Reichtum, eine neue Perspektive. Danach operierten wir mit dem Begriff Vermögenskultur: also das Vermögen, etwas Gutes und Sinnhaftes mit viel Geld, Talent oder Kompetenz zu tun. Reichtum war für uns nur noch ein quantitativer, Vermögen aber qualitativer Begriff. So sprachen wir Stifterinnen und Stifter, Förderer, Sponsoren und Philanthropen an und plötzlich öffneten sie die Türen. Dies wurde sicher auch erfolgreich, weil wir nie einen Namen von Interviewpartnern preisgegeben haben. 

top: Wie stehen Sie persönlich zu Reichtum und Vermögen? Hat dies für Sie eine Relevanz?

Druyen: Ich durfte in guten, bürgerlichen Verhältnissen aufwachsen, so dass mir unbewusst Tugenden und Möglichkeiten in die Wiege gelegt wurden, die sich im Laufe des Lebens als günstig und wertvoll herausgestellt haben. Das ändert nichts daran, dass ich als junger Mensch ein Feger war und nicht jeden Rat meiner Eltern annahm. Aber die Sehnsucht nach Reichtum hatte nie eine Bedeutung für mich. Das nur Materielle war bei uns keine Kategorie. Aber ein anderes Vermögen bekam einen existentiellen und überragenden Stellenwert: die Freiheit oder besser gesagt, die Distanz zur Notwendigkeit. Ich habe mir nie gerne Vorschriften machen lassen. So habe ich in der Literatur und in Filmen immer nach Unabhängigen oder Scouts gesucht, die mich nachhaltig emotionalisierten. Diese Prägung hat sich für meinen Teilberuf des Vermögensforschers als äußerst hilfreich entwickelt. Die Superreichen, auf die ich in aller Welt traf, haben instinktiv gespürt, dass ich weder Eifersucht  noch Neid in mir trug. Erst dann kann man wahrscheinlich zielführend beraten. Allein am Meer oder auf einem Berg fühle ich mich wohler als auf einer Yacht oder in einem Privatjet. Fürs Alter bin ich ohnehin überzeugt, ist Demut viel wichtiger als Reichtum.  

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