Interview mit Prof. Mini Schulz

„Wir spielen in der Champions League der Jazzclubs weltweit“

Mini Schulz

Am 16. Dezember 2006 wurde der nach dem Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke benannte BIX Jazzclub im Anbau des Gustav-Siegle-Hauses eröffnet. Jährlich nehmen weit über 20.000 Besucher das Angebot wahr, die rund 250 Konzerte zu besuchen. Die 2023 vom Magazin „DownBeat“ einmal mehr in die Liste der 50 besten Jazzclubs der Welt aufgenommene Kulturinstitution bietet dabei nicht nur internationalen Jazzgrößen und funkig-poppigen Mainstream-Acts eine Bühne, sondern auch jungen Talenten, und ist somit sehr aktiv, was die Nachwuchsförderung betrifft. Was den besonderen Reiz des Clubs ausmacht, darüber sprachen wir mit Mini Schulz, Gründer und zusammen mit David Wilcke Geschäftsführer des BIX sowie Professor für Jazz-Kontrabass an der HMDK Stuttgart.

Mini Schulz

top: Mini, der Jazz hat sein festes Publikum, fristet in der öffentlichen Wahrnehmung aber nur ein Nischendasein. Teilst Du diese immer noch oft geäußerte Ansicht?

Schulz: Selbstverständlich nicht. Der Jazz steckt ja im Grunde in jeder Art von populärer Musik. Mit dem BIX haben wir es uns programmatisch zur Aufgabe gemacht, diese vielen Facetten einzufangen. Es gibt hier also nicht nur puristischen Jazz, sondern auch zahlreiche Konzerte mit Funk, Soul, elektronischer Musik, Swing, Pop und urbanem Jazz. Ich sehe den Jazz also keineswegs als Randerscheinung, die nur ein paar Leute interessiert. Die besondere Fähigkeit des Jazz liegt meiner Ansicht nach in seiner ungemein starken Kommunikationsfähigkeit. Er führt Menschen unterschiedlichen Alters aus nahezu allen gesellschaftlichen Schichten zusammen. Die Hierarchien sind sehr flach, es gibt in unserem Club wunderbare Begegnungen. Da sitzen der renommierte Rechtsanwalt, der Krankenpfleger und die Rentnerin an einem Tisch und tauschen sich aus. Und selbst wenn einem Besucher das Programm an einem Tag vielleicht nicht so gut gefällt, fühlt er sich im BIX so wohl, dass er gerne wiederkommt. Unser Ziel ist es, den Gästen den Spaß an der Live-Musik zu vermitteln. Und das gepaart mit einem meiner Ansicht nach hervorragenden gastronomischen Angebot, für das Jens Oelkrug, der auch die exzellente Whiskybar im ersten Stock betreibt, verantwortlich zeichnet.

top: War der Erfolg des Clubs absehbar?

Schulz: Keineswegs. Als das BIX 2006 mit Unterstützung von Sponsoren und der Stadt Stuttgart gegründet wurde, sind wir quasi ins kalte Wasser gesprungen. Unser Anspruch war ein Club mit schönem Ambiente, autarker Gastronomie und einer hervorragenden Ausstattung für die Musikerinnen und Musiker. Dieses Konzept ist erfreulicherweise aufgegangen, auch wenn wir anfangs kräftig dafür kämpfen mussten. Entscheidend für den Erfolg ist auch die einzigartige Atmosphäre respektive die hochwertige Innenarchitektur, für die das Stuttgarter Architekturbüro Bottega & Erhardt verantwortlich zeichnet. Ergänzend zum Konzertraum im Erdgeschoss, der mit circa 80 Sitzplätzen und über 150 Bar- und Stehplätzen mehr als 200 Gäste fasst, kommt auf der Galerie ein eleganter Raucherbereich mit eigener Bar hinzu. Insgesamt können auf beiden Ebenen zusammen bis zu 250 Gäste das Ambiente des BIX genießen. Der Zutritt zur Lounge ist – abgesehen von Terminen, die durch Fremdveranstalter belegt sind – übrigens immer kostenlos. Das ist ideal für alle, die mal in den Jazz hineinschnuppern wollen.

„Auftritte im BIX gehören zu den sogenannten Anker-Gigs in Europa“

top: Wie kommt das BIX bei den Musikern an?

Schulz: Ebenfalls sehr gut – vor allem auch die Tatsache, dass wir ein so genannter Plug & Play-Club mit High-Tech-Ausstattung sind. Bevor es das BIX gab, hatten wir in Stuttgart das Problem, bei hochwertigeren Veranstaltungen immer zuerst einen Flügel leihen und eine Anlage aufstellen zu müssen. Jetzt kommen die Musiker, machen ihren Sound-Check und können am Abend spielen. Dadurch reduzieren sich die versteckten Veranstaltungskosten ungemein. Was die Infrastruktur anbelangt, gehört das BIX zu den führenden Locations seiner Art. Regelmäßig kommen Clubbetreiber aus New York, London, Stockholm oder Paris nach Stuttgart, um sich das BIX anzuschauen. Nicht ohne Grund hat uns das US-amerikanische Jazz-Magazin „DownBeat“ 2023 einmal mehr in die Liste der 50 besten Jazzclubs der Welt aufgenommen. Wir spielen in der Champions League der Jazzclubs weltweit. Das ist in der Stadtgesellschaft noch nicht allen bewusst. Die Welt kennt das BIX, viele Stuttgarter können den Club immer noch für sich entdecken. Es lohnt sich!

top: Wer macht bei Euch das Booking?

Schulz: Dafür ist im Wesentlichen David Wilcke verantwortlich. Und der macht einen hervorragenden Job. Zugleich hat das Renommee des BIX dazu geführt, dass der Club seit Jahren auf der Agenda internationaler Agenturen steht. Bei uns muss man als Jazzmusiker gespielt haben, um bei großen internationalen Festivals aufzutreten. Das BIX ist einfach eine feste Nummer. Viele Künstler wie Gregory Porter, Esperanza Spalding, Cecile McLorin Salvant oder die Band Tonbruket haben hier einen Grundstein für ihre Karriere gelegt. Nur wenige Clubs in Europa haben eine solche Strahlkraft wie das BIX. Vergleichbar sind damit nur das Ronnie Scott‘s in London, das Porgy & Bess in Wien, das Moods in Zürich, der Duc des Lombards in Paris und das A-Trane in Berlin. Und wenn Künstler beziehungsweise Ensembles auf Tour sind, gehören Auftritte im BIX zu den sogenannten Anker-Gigs in Europa, weil von Stuttgart aus gerade auch die Clubs in Zürich und Wien relativ schnell erreichbar sind. Für nächstes Jahr erwähne ich hier nur die Auftritte des Pianisten Christian Sands oder der finnischen Soulsängerin Ina Forsman.

„Dienstags brodelt bei uns die Ursuppe“

top: Über welche Künstler respektive Formationen würdest Du Dich im BIX noch freuen?

Schulz: Zum Beispiel über Musiker aus anderen Kulturkreisen. An der Grenze zwischen Okzident und Orient gibt es ungemein spannende Bands – zum Beispiel aus der Türkei oder auch aus Israel. Grundsätzlich hätte ich bei uns auch noch gerne mehr französische Jazzmusiker zu Gast. Die Franzosen haben sich aber aufgrund ihrer speziellen nationalen Förderthematik etwas eingekastelt. Das versuchen wir aber gerade mit guten Kontakten nach Paris und Straßburg etwas aufzubrechen. Durch mein Engagement beim XJAZZ-Festival in Berlin lerne ich auch viele junge Wilde kennen, die sensationelle und noch ungehörte Musik machen. Daraus ergeben sich möglicherweise auch noch Synergien für Stuttgart.

top: Überhaupt bietet das BIX ja nicht nur internationalen Jazzgrößen und funkig-poppigen Mainstream-Acts eine Bühne.

Schulz: Absolut richtig, wir fördern auch sehr stark den Nachwuchs. Fast jeden Dienstag präsentieren Studierende der HMDK Stuttgart aus den Studiengängen Jazz/Pop ihre eigenen Live-Programme. An diesen Abenden brodelt bei uns die Ursuppe und man kann erleben, wie der Jazz sich neu entwickelt. Für junge Musiker ist das BIX also eine hervorragende Plattform, um Bühnenerfahrung zu sammeln und sich einen Namen zu machen. So konnte zum Beispiel Jakob Manz, der Shootingstar der deutschen Jazz-Szene, als Jungstudent seine ersten Live-Auftritte im BIX spielen.

top: Wie finanziert sich das BIX?

Schulz: Unser Gesamtetat liegt im mittleren sechsstelligen Bereich. Davon bezuschusst das Kulturamt der Stadt etwa 100.000 Euro, ein gewisser Prozentsatz wird durch Sponsoren wie der Sparda Bank Baden-Württemberg abgedeckt, das Gros erwirtschaften wir über Ticketverkäufe und Vermietungen selbst. Eine wichtige Rolle nehmen auch unser prominent besetzter und überaus aktiver Gesellschafterkreis und unser Kuratorium ein. Unser gesellschaftsrechtliches Konstrukt als gemeinnützige GmbH lässt hier unterschiedliche Engagements zu, denn das Public Private Partnership bringt in dieser Hinsicht gegenüber einem eingetragenen Verein viele Vorteile mit sich. Aktuell arbeiten wir auch an einer Stiftung, um dem BIX eine solide finanzielle Grundlage zu verschaffen und ganz neue Projekte realisieren zu können. 

„Alle Beteiligten müssen kulturwirtschaftlich und zukunftsorientiert denken“

top: Hat sich über die Jahre auch das Standing des BIX bei der Stadt verändert?

Schulz: Auf jeden Fall. Die Stadt weiß, was sie an uns hat. Insgesamt gehört Stuttgart auf jeden Fall zu den Städten in Deutschland, die am meisten in den Jazz wie auch insgesamt in die Kultur investieren. Auch wenn Stuttgart diesen Titel noch nicht trägt: Wir sind seit Jahren „die“ Kulturhauptstadt Deutschlands. Das könnte von allen Seiten noch viel mehr promotet werden. Schon oft waren Kulturpolitiker aus anderen Metropolen in Stuttgart und haben darüber gestaunt, was bei uns hier alles passiert. Das hiesige Engagement verdient hohe Anerkennung und fördert das Image, den Tourismus und die Wirtschaft der Stadt. Für jeden Euro, der in die Kultur investiert wird, kommen vier Euro wieder zurück. Durch das BIX und die jazzopen, die Kult-Location Kiste oder das Theaterhaus und nicht zuletzt die SWR Bigband sowie den erfolgreichen Jazzstudiengang an der Musikhochschule ist jedenfalls die Wahrnehmung von Stuttgart, insbesondere auch als Jazz-Stadt, wieder deutlich in den internationalen Fokus gerückt. Dieses Bewusstsein über den kulturellen Reichtum unserer Stadt darf sich meiner Meinung nach in der Bevölkerung gerne noch mehr verankern. 

top: In Stuttgart wird aktuell viel über die Opernsanierung und den Bau eines neuen Konzerthauses diskutiert. Wie stehst Du dazu?

Schulz: Ganz klar: Der Littmann-Bau muss auf jeden Fall saniert werden. Die Frage ist allerdings, ob das Haus weiterhin als Opernhaus genutzt werden muss. Es könnte auch ausschließlich dem Ballett oder für andere Nutzungsformen dienen. Stattdessen könnte man ein neues, zeitaktuelles Opernhaus bauen. Eine Interimslösung halte ich wirtschaftlich für fragwürdig. Abreißen wird den Bau niemand, denn nach zehn Jahren muss in das „Interim“ wieder neu investiert werden. Darüber hinaus brauchen wir unbedingt eine „neue“ Liederhalle beziehungsweise ein neues großes Konzerthaus. Namhafte Künstler und Ensembles machen einen Bogen um Stuttgart. Aus meiner Sicht müssen alle Beteiligten kulturwirtschaftlich und zukunftsorientiert denken – gerade im Sinne des überdurchschnittlich kulturbegeisterten Stuttgarter Publikums.

Die Fragen stellten Matthias Gaul und Kirsi Fee Wilhelm
Foto: Matthias Hangst

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