Produktentwicklungen, Nachhaltigkeit, Engagement, Versäumnisse der Politik, Standortnachteile, und vieles mehr: Dr. Nikolas Stihl, Vorsitzender des Holding-Beirats von STIHL und Aufsichtsratsvorsitzender der STIHL AG, streifte im Gespräch mit top magazin eine ganze Reihe aktueller Themen.
top: Herr Dr. Stihl, Ihre Äußerung vor einigen Monaten, wonach die Schweiz als Produktionsstandort günstiger sei als Deutschland, hat hierzulande durchaus für Aufsehen gesorgt. Sollte dies auch ein Warnschuss im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik der Ampel-Regierung?
Stihl: Ich habe dies im Zusammenhang mit der Ankündigung gesagt, dass unsererseits die Pläne für ein neues Werk in Ludwigsburg erst einmal auf Eis gelegt wurden. Da der Weiterbetrieb unserer bestehenden Schienenfertigung im Werk 2 in Waiblingen-Neustadt bis mindestens 2030 gesichert ist, werden wir zu einem späteren Zeitpunkt final über den künftigen Fertigungsstandort entscheiden. Was die Schweiz anbelangt, produzieren wir dort schon seit 50 Jahren unsere Sägeketten für den Weltmarkt. Tatsache ist, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen in Deutschland schlicht und einfach nicht passen. Im Wirtschaftsranking der wichtigsten 21 Industriestaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist Deutschland nach Angaben des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung mittlerweile auf Rang 18 abgerutscht. Das ist die schlechteste Position in der Geschichte des Rankings. Hierfür sind die unterschiedlichsten Standortfaktoren wie Steuerbelastung, Arbeitskosten oder Infrastruktur verantwortlich. Viele ausländ-
ische Investoren machen daher einen großen Bogen um Deutschland. Im vergangenen Jahr lagen die Netto-Abflüsse nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bei knapp 100 Milliarden Euro.
„Der Akku ist die Zukunft“
top: Hat die IG Metall aus Ihrer Sicht erkannt, dass sie mit ihrer Forderung nach der 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auf dem Holzweg ist?
Stihl: Wie die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner erst kürzlich sagte, hat die Gewerkschaft aufgrund der „kritischen Phase der Industrie“ nicht vor, mit der Forderung nach einer 32-Stunden-
Woche in die nächste Tarifrunde reinzugehen. Das Thema ist aus meiner Sicht aber nicht vom Tisch, sondern bleibt vermutlich auf der längerfristigen Agenda der IG Metall.
top: Gemeinsam mit anderen Familienunternehmen haben Sie im vergangenen Jahr der Politik einen Pakt zur Stärkung des Standorts angeboten. Konkret zehn Punkte, die auf die Agenda gehören. Zum Beispiel Bürokratieabbau, Steuersenkungen für Unternehmen oder Ankurbelung der Produktivität. Gab es darauf eine Reaktion?
Stihl: Die Politik hat wie immer in solchen Situationen gesagt: „Ja, Ihr habt recht und wir würden gerne die Bürokratie abbauen.“ Ansonsten kam nichts mehr – zu keinem der verschiedenen von uns angesprochenen Punkte. Die Entscheidungen der letzten Monate in Berlin gehen in die falsche Richtung. Als Beispiel nenne ich das Rentenpaket, das uns jedes Jahr 30 bis 40 Milliarden Euro kosten wird. Jeder weiß, dass dies auf Dauer nicht bezahlbar ist. Der Generationenvertrag ist mit dem neuen Rentenpaket gebrochen worden. Wir haben heute die Situation, dass ein
knappes Drittel des Bundeshaushalts direkt als Zuschuss in die Rente geht und könnte das nicht auch ein entscheidender Faktor sein, dass keine Krankenhäuser gebaut werden können, die Schulen verfallen, die Infrastruktur leidet und die Bundeswehr miserabel ausgerüstet ist? Zu Zeiten der Regierung von Gerhard Schröder ist ein Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt worden, der den Anstieg der Renten entsprechend gedämpft hätte. Für die junge Generation wird es in absehbarer Zeit sehr kritisch werden. Das sagen schon auch führende Wirtschaftsökonomen seit Jahren etwa vom Kronberger Kreis oder Bernd Raffelhüschen, seines Zeichens Professor für Finanzpolitik.
top: Warum hört die Politik nicht auf die Experten?
Stihl: Weil die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler eher näher an der Rente sind oder bereits Rente empfangen. Gegen die ältere Generation sind Wahlen kaum zu gewinnen. Darüber hinaus ist es wesentlich leichter, Wohltaten zu verkünden, als unangenehme Wahrheiten auszusprechen und dann auch entsprechend zu handeln.
„Für die Leistungsbedarfe von Landschaftsgärtnern, Kommunen und Privatkunden ist inzwischen nahezu alles mit Akkus abdeckbar.“
top: Wie wirken sich die Konjunkturschwäche und die geopolitischen Rahmenbedingungen auf die aktuelle Umsatz- und Absatzentwicklung bei STIHL aus?
Stihl: Absolut gesehen könnte es besser sein, relativ gesehen geht es uns noch gut, weil es allen unseren Mitbewerbern auch nicht besser geht. Das Geld, das aktuell den Menschen zur Verfügung steht, wird jetzt für Dinge ausgegeben, die während der Pandemie eben nicht möglich waren. Heißt: Die Menschen verreisen wieder, gehen ins Restaurant oder leisten sich ein paar schöne Kleider. Und ganz ehrlich: Wenn man sich etwa während der Pandemie ein hochqualitatives Gartengerät gekauft hat, dann hält das eben viele Jahre. In gewisser Weise „leiden“ wir also unter der eigenen Qualität. Grundsätzlich konsolidiert sich unsere Branche aber auf einem ordentlichen Niveau – nicht nur in Europa, sondern auch in wichtigen Märkten wie den USA. Und zwar quer über alle Vertriebsformen hinweg.
top: Welche sind denn für STIHL die wichtigsten Zukunftsmärkte?
Stihl: Unsere entwickelten Märkte werden für uns auch in Zukunft die wichtigsten Märkte bleiben. Nordamerika und Europa machen deutlich mehr als zwei Drittel vom Umsatz aus. Positiv entwickeln sich aber auch die Märkte, in denen die Kaufkraft der Bevölkerung nicht so hoch ist. Was die Antriebstechnologie anbelangt, geht es in den entwickelten Märkten mit wachsender Geschwindigkeit in Richtung Akkuantrieb. Wir haben 2008 mit Akkugeräten angefangen. Seither hat sich die Speicherkapazität beziehungsweise die Leistungsfähigkeit der Zellen etwa verdoppelt. Wir bauen heute eine elektrisch angetriebene Säge mit drei
Kilowatt. Mit der kann man schon gut arbeiten, dabei ist sie vom Gewicht her nicht so schwer, dass sie nicht zu tragen wäre. Für die Leistungsbedarfe von Landschaftsgärtnern, Kommunen und Privatkunden ist inzwischen nahezu alles mit Akkus abdeckbar. Anders sieht es in der Forstwirtschaft oder bei der Feuerwehr mit hohen Leistungsanforderungen aus. Sägen mit fünf oder sechs Kilowatt lassen sich nicht wirklich mit Akkus betreiben.
top: Der Verbrenner hat also weiterhin eine Chance?
Stihl: Auf jeden Fall, erst recht auch in besonders abgelegenen Gegenden und in Regionen ohne Stromversorgung. Wir arbeiten intensiv daran, die betriebsbedingten CO2-Emissionen unserer Produkte zu reduzieren. Möglich wird dies mit Kraftstoffen, die teilweise oder ganz aus Biomasse wie zum Beispiel Holzabfällen hergestellt werden. So haben wir mit MotoMix einen synthetischen Alkylat-Kraftstoff entwickelt, der im Vergleich zu herkömmlichem Tankstellenbenzin wesentliche Vorteile aufweist. Dazu gehören eine deutlich geringere Schadstoff- und Abgasbelastung bei der Anwendung, eine reduzierte Bildung von Ablagerungen in den Geräten sowie eine höhere Effizienz. Großes Potenzial sehe ich auch in E-Fuels, die in der Anwendung nahezu CO2-neutral sind. Das gilt auch für ältere Geräte. Für die Herstellung der klimaneutralen Kraftstoffe im Wesentlichen aus grünem Wasserstoff und Kohlenstoff gibt es weltweit eine Vielzahl an rasanten Projekten, die die Startlöcher längst verlassen haben. Grundsätzlich streben wir die umfangreiche Nutzung von E-Fuels ab 2027 an.
top: Gibt es womöglich neue Anwendungsgebiete, in denen wir STIHL-
Produkte erleben werden?
Stihl: Komplett neue Anwendungsgebiete sehe ich nicht. Vielmehr geht es darum, das bestehende Portfolio immer weiter zu optimieren. Verstärkt setzen wir dabei auf Digitalisierung und werden beispielsweise „STIHL connected“ weiter ausbauen. Mit STIHL connected können unsere Großkunden ihre Betriebsabläufe optimieren und den Total Cost of Ownership erheblich senken,. Das digitale Flottenmanagement hilft zum Beispiel dabei, den Überblick darüber zu behalten, welche Geräte gewartet werden müssen. Das ist wichtig, denn eine regelmäßige Wartung trägt zu einer längeren Maschinenlaufzeit bei. Ein weiteres Plus besteht darin, dass der Maschinenstatus immer und überall ersichtlich ist, sodass den Mitarbeitenden für alle Einsätze die Geräte in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. So lassen sich verfügbare Maschinen gezielt einsetzen, um die Wertschöpfung zu erhöhen. Intensiv weiterarbeiten werden wir zudem an den Aufgaben, die mit dem „Green New Deal“ verbunden sind. Damit meine ich Aspekte wie Reparaturfähigkeit, Recyclingfähigkeit und Umweltfreundlichkeit. In Sachen Nachhaltigkeit sind wir außerdem im März 2023 dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten – der weltweit größten Initiative für nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Mit dem Beitritt verpflichten wir uns, die Unternehmensstrategie an den zehn Nachhaltigkeitsprinzipien des UN Global Compact zu Menschenrechten, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung auszurichten.
„Wir tragen unseren Teil zum Umwelt- und Klimaschutz bei.“
top: Mit Spendenaktionen, Kooperationen oder tatkräftigen Arbeitseinsätzen zeigt STIHL auch ein starkes Engagement für gesellschaftliche und kulturelle Projekte weltweit. Welche Projekte liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?
Stihl: Hier eine Auswahl zu treffen, fällt mir schwer. Regional haben für uns in kultureller Hinsicht auf jeden Fall das Sponsoring der jazzopen sowie von Gauthier Dance einen hohen Stellenwert. Als weltweit größte Motorsägenmarke engagieren wir uns weltweit aber vor allem auch für den Wald und einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Holz. Wir unterstützen lokal und global in vielen Teilen der Welt Initiativen und Projekte zum Schutz der Wälder. Dabei geht es neben der Wiederaufforstung häufig darum, ein Bewusstsein in der Bevölkerung für den – auch ökonomischen – Wert der Wälder zu entwickeln. Wenn die Menschen sehen, dass sie auf waldschonende Weise ihren Lebensunterhalt mit und durch die Urwälder verdienen können, werden der Erhalt und die Wiederaufforstung für sie umso attraktiver. Etwa in der Form, dass man schnell wachsende Bäume in Verbindung mit Feldfrüchten anpflanzt, die deswegen besser wachsen, weil die schnell wachsenden Bäume für Schatten sorgen. Klar ist, dass man hier unterschiedliche Herangehensweisen tatsächlich ausprobieren muss. Denn was in Borneo funktioniert, funktioniert nicht notwendigerweise in Uganda. Und was in Uganda funktioniert, funktioniert nicht notwendigerweise in Bolivien.
top: Sehen Sie auch schon konkrete Ergebnisse?
Stihl: Auf jeden Fall. Klar reicht es noch lange nicht, um die Welt zu retten. Das können wir als vergleichsweise kleines Unternehmen auch nicht leisten. Aber wir tragen unseren Teil zum Umwelt- und Klimaschutz bei.
top: Noch ein Blick in die Zukunft: Wo steht das Unternehmen STIHL im Jahr 2050?
Stihl: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch dann noch an der Spitze unserer Industrie stehen werden. Diesen Anspruch habe ich. Und ganz klar: der Akku ist die Zukunft. Ich schätze, dass der Anteil unserer Akku-Produkte 2050 deutlich über 80 Prozent betragen wird.
Das Gespräch führten Matthias Gaul, Kirsi Wilhelm
und Michael Endress
Fotos: Maks Richter