Groß, leuchtend, aufsehenerregend: Wo die bis zu acht Meter großen Lichtfiguren auftauchen, bringen sie die Menschen zum Staunen. Warum die Puppen aus Stuttgart so viele weltweit begeistern.
Ist es ein Kokon? Ein Möbelstück? Oder einfach nur Kunst? Das helle Geflecht ist so groß, dass eine erwachsene Person ohne Probleme hineinkriechen könnte – dabei ist dieses Gebilde aus schneeweißen Verstrebungen selbst nur ein Teil eines noch viel größeren Wesens. Gute zwei Meter misst allein der Torso von Vector. Kommen Arme, Beine und der Kopf dazu, ist die Figur beeindruckende acht Meter hoch. So hoch wie ein Haus. In das enge Netz eingeflochten sind noch LED-Drähte. So kann der Riese sich nicht nur trotz seiner enormen Größe bewegen, wenn er zusammengebaut wurde, sondern auch mit seinem Leuchten die Nacht erhellen.
Mächtig und doch filigran und anmutig: Vector ist das jüngste Mitglied der Dundu-Familie aus Stuttgart. Seit 2006 gibt es Dundu, kurz für: du und du. Unter diesem Namen haben die einstigen Schulfreunde Tobias Husemann und Stefan Charisius ein wohl einzigartiges Kunstprojekt geschaffen. Der Dundu-Prototyp, ein Baby gegen die Hünen, die es mittlerweile gibt, hängt in den Wagenhallen an der Wand. Hier im Stuttgarter Norden haben die Fantasiewesen ihr Zuhause. Bereitwillig führt Stefan Charisius durch die Werkstätten, Büros und den sechs Meter hohen Proberaum. Er erinnert sich noch gut daran, wie der Puppenspieler Tobias Husemann 2005 auf ihn zukam und von seinem Traum erzählte, eine Figur entwerfen zu wollen, die gewaltig und doch menschlich ist. Er hatte die initiale Idee zu den nach eigenen Angaben größten frei spielbaren Puppen der Welt. Der Musiker Charisius war seinerzeit in Sachen Weltmusik aktiv. „Für mich war klar: Das ist die Zukunft“, sagt er rückblickend.
Gesteuert werden die Dundus von jeweils fünf Menschen. Das Team bewegt die Gliedmaßen und den Rumpf der Großpuppen an langen Stäben. Und macht so die Illusion von den tanzenden, schwebenden, springenden, schreitenden, niederknienden oder winkenden Giganten perfekt. Die Dundu-Familie ist mit den Jahren auf nahezu 25 einzelne Figuren angewachsen – vom 50-Zentimeter-Männlein über die Vier- bis Fünf-Meter-Standardpuppen bis hin zum Acht-Meter-Koloss. Nicht nur in ihrer Größe unterscheiden die Geschöpfe sich, auch in der Machart. Spiegly etwa, eine sexy Riesin in High Heels, ist ringsherum mit Spiegeln besetzt und reflektiert so in der Bewegung Laser und Lichter in alle Himmelsrichtungen; eine Discokugel auf zwei Beinen.
Und es gibt Lumo. Das gesichtslose Wesen mit der weißen Wuschelfrisur ist an diesem Tag in der voll ausgestatteten Holz- und Metallwerkstatt aufgebaut, ein mehr als drei Meter großer Goliath aus aufblasbaren Elementen, die an Luftmatratzen erinnern. In den milchig trüben Luftpaketen ist eine ausgeklügelte LED-Technik verborgen.
Per Tablet können die einzelnen Lämpchen angesteuert werden und so pulsieren, blinken, leuchten und die verschiedensten Farbverläufe auf die tanzende Gestalt malen. „Das sind alles handgemachte Einzelelemente“, sagt Stefan Charisius. „Das ist eine Hightech-Puppe“, betont er.
Dundu und seine Freunde sind bereits um die ganze Welt marschiert. Vor dem Brandenburger Tor hatten die sanften Riesen Auftritte, vor den Pyramiden in Ägypten. Sie haben Stadien und Brücken eröffnet, waren bei Olympischen Spielen, der Kieler Woche und der Leichtathletik-WM, besuchten Chile, Korea oder Katar, machten beim Stuttgart-21-Protest mit, traten im chinesischen Fernsehen auf und teilten sich mit dem Schlager-Superstar Helene Fischer die Bühne. Erst im November war das Stuttgarter Ensemble in der Staatsoper in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi zu Gast. Dundu kommt rum, doch auch in der Region Stuttgart haben die Lichtgestalten schon x-mal die Menschen staunen lassen, sei es auf dem Cannstatter Volksfest, bei der Remstal-Gartenschau, beim Fellbacher Herbst oder der Gerlinger Einkaufsnacht. Auf Firmen- und Privatevents sind die spektakulären Gestalten ebenfalls gern gesehen. „Im Grunde genommen gibt es keinen, der vor uns Halt macht“, sagt Stefan Charisius.
Wie genau das Geflecht der klassischen Dundu-Puppen entsteht, dazu will er nicht zu viel verraten. Betriebsgeheimnis. „Wir geben keine Bauanleitung raus“, sagt er und grinst breit. Nur so viel gibt er preis: Der Prozess des Flechtens und Wickelns erinnere an die Arbeit mit Pappmaschee. Das Material, ein Polyesterschaum, stamme aus dem Modellflugbereich und sei daher federleicht. „Es verschweißt sich über Hitze“, sagt er. Die Rollen bei den beiden Dundu-Gründern sind klar aufgeteilt. Der 54-jährige Tobias Husemann ist der Puppenbauer. Sein 56-jähriger Geschäftspartner Stefan Charisius ist maßgeblich für die Musik zuständig. Er gehört zu den wenigen Europäern, die die Kora spielen, eine fast schon archaisch anmutende Stegharfe aus Westafrika. Wenn Dundu, Spiegly, Lumo und Co. Bühnen, Sportstätten, Plätze, Konzerthallen oder Fußgängerzonen einnehmen, erklingt seine Musik live, manchmal auch vorproduziert. Für die beiden Macher ist der Effekt klar: „Dundu hat das Potenzial, Kulturen zu verbinden und der Welt Inspiration und Hoffnung zu bringen.“ Es gehe um Fantasie, um Inspiration, um Geschichten und das Miteinander. Um du und du.
Ob Clubabend, Musikfestival, Geschäftseröffnung, Produktpräsentation oder Benefiz-Aktion wie im Ahrtal nach der Flutkatastrophe 2021: Auf gut und gerne 180 bis 200 Auftritte kommen die Riesenpuppenspieler pro Jahr. Jüngst hat das Lichtwesen den großen Laternenumzug im Stuttgarter Neckarpark begleitet. Das Interesse an Dundu ist laut Stefan Charisius ungebrochen. Entgegen seinen Erwartungen haben sich die Menschen noch lang nicht sattgesehen, dabei geht Dundu mit großen Schritten aufs 20-Jahr-Jubiläum im Jahr 2026 zu.
Fürs kommende Jahr hat sich die Dundu Husemann Charisius GbR wieder jede Menge vorgenommen. Neue Figuren sollen entstehen, fünf bis sechs Meter groß. Außerdem wollen die Stuttgarter Kunstschaffenden noch mehr in die Club- und Technoszene hineinstoßen. „Wir versprechen uns da eine enge Zusammenarbeit mit DJs“, sagt Stefan Charisius. Und natürlich stehen wieder etliche Auftritte an, beispielsweise beim Stadtjubiläum im tschechischen Pilsen. Dundu geht wieder auf Reise um die Welt.
Von Caroline Holowiecki