Jan Haas alias Dingo Babusch aus Stuttgart-Ost hat geschafft, was vielen nicht vergönnt ist: Er hat sich als Streetart-Künstler einen Namen gemacht und kann leben von seinen Bildern auf Gebäuden, Objekten und Leinwänden.
Es gibt Kunstwerke, da muss man nähertreten, um das eigentliche Motiv zu erkennen. Bei anderen wiederum muss man zwei, drei Schritte nach hinten machen, um die schiere Größe zu erfassen. Dann wird aus undurchsichtigem Gewusel der Schriftzug Dingo, schwarze und weiße Schlieren fügen sich plötzlich zu einem übergroßen Pferd zusammen. Ein enormes Graffito ziert seit dem Frühjahr eine Umspannstation an der Oberen Weinsteige in Degerloch. Zwischen grafischen Elementen in Lila und Blau ist das große dunkle Pferd zu sehen, das Symbol Stuttgarts. Das Bild zieht sich weiter auf die Wand daneben. Im Zentrum steht dort eine Comicfigur gestaltet im Retrostil. Sie trägt ein Oberteil in den Landesfarben Gelb und Schwarz und mit einem Pferdle drauf. Gesellschaft leistet ihr der bekannte Comic-Kojote Roadrunner, der vergeblich Bücher wälzt und versucht, das Graffitisprayen zu verstehen.
Gestaltet hat das alles der Streetart-Künstler Jan Haas alias Dingo Babusch aus Stuttgart-
Ost. Etwa eine Woche habe er fürs haushohe Kunstwerk gebraucht. Was auffällt, ist, dass hier kein bestimmter Stil auffällt. Es wirkt vielmehr, als hätten sich mehrere Kunstschaffende gemeinsam verewigt. Bei Jan Haas ist das durchaus gewollt. Der Mix gefällt ihm, cleane Strukturen neben verwaschenen Strichführungen, Tiermotive neben grafischen Elementen. „Ich bin ziemlich vielschichtig“, sagt er.
Jan Haas‘ Leidenschaft für die Dosenkunst hat schon früh begonnen. Als Teenager hat er Anfang der 90er Gefallen an Graffiti und allem, was dazugehört, gefunden. „Das lief typisch über die Jugendhäuser, das war damals etwas ganz Neues.“ Schon als junger Mann beschäftigte er sich mit Techniken und eignete sich autodidaktisch Wissen an. Rückblickend ist er dankbar. „Das Jugendhaus Mitte hat mich gefördert“, sagt er. Vieles allerdings lief seinerzeit noch im Verborgenen. Jugendsünden. „Anfang der 2000er wurde ich erwischt und konzentrierte mich von da auf meine künstlerische Laufbahn“ Quasi zur selben Zeit, im Jahr 2005, brachte er sein Buch „Sprüher im Rudel“ heraus, eine Dokumentation über die Stuttgarter Graffiti-Szene. Jobs folgten, Bilder auf Fassaden, Garagentoren und Kinderzimmerwänden. Es waren die ersten Schritte in die Selbstständigkeit als Künstler.
Das dunkelblaue Shirt, das Jan Haas an diesem Tag trägt, ist ringsrum mit Farbe bekleckst. Strähnen sind aus dem Haargummi gerutscht. Er kommt frisch vom Malen. Heute, mit 47, kann Jan Haas von seinem Talent leben. Er gestaltet Werke auf Leinwänden in Öl oder Acryl, beschickt und kuratiert Ausstellungen, veröffentlicht Bücher, lässt sich für Auftragsarbeiten in und an Gebäuden buchen. Seinen erlernten Job als Schilder- und Lichtreklamehersteller hat er dafür an den Nagel gehängt. Fans seiner Kunst hält Jan Haas auf seinen Instagram-Kanälen (dingobabusch und dingobabuschart) auf dem Laufenden. Längst ist das Netzwerk groß. „Man kriegt immer Kontakte, wenn man draußen malt“, sagt er.
Mittlerweile zieren zig Bilder von Dingo Babusch den öffentlichen Raum in Stuttgart.
Sowohl städtische als auch private Wände und Objekte hat der Mann mit der Signatur DB verschönert, die Bürotür des Sillenbucher Bezirksvorstehers, eine Sporthalle in Giebel. Zumeist hat er die Wünsche der Auftraggeber umgesetzt, maritime Motive für Wasserbehälter etwa, „mein Ziel ist aber, frei zu arbeiten“. Stuttgart Netze gehört zu den Auftraggebern. Für den Energieversorger hat die Bemalung seiner Anlagen Vorteile. „Wir versuchen damit, einen Beitrag zur Aufwertung des Stadtbilds zu leisten. Außerdem schaffen wir durch unsere Aktionen legale Flächen für Graffitikünstler in Stuttgart. Und nicht zuletzt machen wir auf die wichtige Strom-Infrastruktur aufmerksam, die die Energiewende in unserer Stadt überhaupt erst ermöglicht“, teilt der Sprecher Moritz Oehl mit. Bislang wurden 23 technische Gebäude des Unternehmens gestaltet.
In Stuttgart tut sich also was. Während im Osten Deutschlands etwa Graffitikunst oder Fassadenmalereien schon vor Jahren salonfähig gewesen seien, habe die baden-württembergische Landeshauptstadt lang gefremdelt mit Sprühdose und Pinsel, erklärt Jan Haas. Mittlerweile aber habe sich die Kommune geöffnet gegenüber der Streetart. Im August etwa fand zum dritten Mal das „PFFFestival – Urbane Kunst in Stuttgart“ statt, bei dem lokale und internationale Kunstschaffende fünf Häuserfassaden verschönern durften. Jan Haas findet, dass so etwas der Stadt guttut. „Stuttgart will immer eine Metropole sein, da gehört das dazu.“ Dennoch: Leben könnten in Stuttgart nicht viele von Graffiti und Co. Er spricht von einer Hand voll Akteuren. „Viele werden Grafiker.“
Während unzählige Fahrzeuge auf dem tristen Asphalt der Bundesstraße 27 Richtung Kessel brausen, steht Jan Haas neben seinem riesigen Kunstwerk auf dem Degerlocher Umspannwerk und wirkt auch ein bisschen stolz. Nicht immer habe man in seinem Metier das Glück, so ein großes Haus an solch einer prominenten Stelle zur freien Gestaltung überlassen zu bekommen. Die Streetart ist im Mainstream angekommen und macht die Welt ein kleines bisschen bunter. Jan Haas würde es nicht anders haben wollen. „Ich würde nicht in einer grauen Stadt wohnen wollen.“
von Caroline Holowiecki