Neulich haben sich Sebastian Hoeneß und seine Frau eine Auszeit gegönnt. Vier Tage in München, als alles vorbei war. Pokalsieg, Liga und Champions League.
„Und, wir waren Oma und Opa“, berichtet Dieter Hoeneß, seufzt erst und lacht dann. Den Kindern des VfB-Stuttgart-Trainers hat es bei den Großeltern gefallen. Wie immer. Der kleine Seufzer am Ende zeigt, der Mann, der von 1975 bis 1979 für den VfB spielte, 1990 bis 1995 Manager war und heute seinem Sohn Sebastian als Berater zur Seite steht, gibt als Großvater alles. Sonst ist es ein Stück vom Wohnort im Süden Stuttgarts nach München oder umgekehrt und es wird oft telefoniert. Dieses Mal aber war es gut, dass das Familientreffen in der bayerischen Landeshauptstadt stattfand.
Während Stuttgart nach dem ersten Pokalsieg nach 28 Jahren noch tagelang glühte, war es die pure Erholung für den neuen VfB-Helden. Nestwärme ist wichtig für
Sebastian Hoeneß. Bruder Benjamin arbeitet bei den Bayern als Director of Global Partnerships und CEO des FCB International. Onkel Uli sitzt nach Jahrzehnten als Kicker, Manager und Präsident im Aufsichtsrat – und Vater Dieter, der berät den Filius. Es ist mehr als eine Vermutung, dass fast alle beteiligt waren, als der „Hoeneß-Clan“ beschloss, den VfB wiederzubeleben. „Wir haben uns den VfB ein Stück weit ausgesucht“, sagt Dieter Hoeneß. „Wir haben das Potenzial gesehen, die Kraft und die Power, die dieser Klub hat.“ Nach der ersten Trainer-Station bei den Bayern Amateuren (Drittligameister) und den ersten lehrreichen Jahren bei der TSG Hoffenheim ging es für den gebürtigen Münchner zurück in die zweite Heimat. „Sie wohnen knappe 200 Meter von dem Haus entfernt, in dem wir während meiner Managerzeit gelebt haben“, sagt der fünfmalige Deutsche Meister und lacht wieder.
Zurück in seinem Revier und bei den alten Kumpels. Der Filius, 1990 acht Jahre alt, spielte bis 1999 beim VfB und gewann die deutsche B-Jugendmeisterschaft. „Die von damals haben sich wiedergefunden. Eigentlich haben sie immer Kontakt gehalten. Jetzt treffen sich die Familien, weil die meisten auch Kinder haben.“ „So ist Sebastian“, schiebt der Vater, Opa und Berater hinterher und man glaubt zu verstehen, warum viele, wenn sie den VfB-Coach beschreiben, irgendwann behaupten, er sei „einfach gut erzogen“. Die Hauptschuldige sei in dem Fall die Mutter, sagt der Vater und lacht wieder. Man spürt, er ist glücklich, dass alles so kam und die Familie trotz verlockender Angebote die „richtige“ Wahl traf. Den Klub, der sich über die Jahrzehnte in Angriffsfußball und junge Spieler verliebte, sich aber oftmals durch kleinkariertes Gezänk, ins Abseits dribbelte, abgesehen vom Sachverstand, den viele bei sich im Keller gestapelt zu haben glaubten. Am Vormittag des 3. April 2023, einem Montag, unterschreibt der ehemalige Mittefeldspieler einen auch für die Zweite Liga gültigen Vertrag. Die „Roten“ sind Tabellenletzter, fünf Punkte hinter Platz 15. Das Ganze nahe einer Mission impossible.
Am selben Nachmittag das erste Training. Am Mittwoch das Pokalviertelfinale in Nürnberg. Ein 1:0-Sieg. Den Klub, die Stadt, er hat sie angezündet. 6:1 in zwei Relegationsspielen gegen den HSV. „Das Ganze war eine Nacht-und-Nebel-Aktion“, sagt Dieter H. Gut vorbereitet allerdings. Geradezu schwindelerregend, was folgte. Vizemeisterschaft, Champions League und Pokalsieg. Ein Rausch, den einer verursachte, der meist kontrolliert und ausgeglichen wirkt. Fast erscheint es so, als hätte er so gar nichts vom Temperament des Vaters und des Onkels abgekriegt, die schon mal ohne Schaum rasieren, wenn ihnen einer querkommt. Es kann eine Last sein, wenn man Hoeneß heißt. Dass Sohn Sebastian lieber konsequent seinen „eigenen“ Weg geht, weiß der Papa: „Was ich so an ihm mag, ist, dass er reflektiert und authentisch ist.“
Ein Hoeneß, der keiner ist – oder zumindest ein etwas anderer? Die Strahlkraft des Familiennamens funkelte bis auf den Trainingsplatz herab. Gerne erzählen sie die Geschichte, als Stürmer Serhou Guirassy, Tage nach der Trainer-Verpflichtung, fast erschrocken realisierte, wer da vor ihm steht. „Einer von denen, ein Hoeneß, wirklich?“, soll der Torjäger gesagt haben. Der berühmte Spross hat Berichten zufolge ein einziges Mal etwas zu dem Thema zu seiner Truppe gesagt, dann war Schluss. Dann war er wieder Fußball-Lehrer, wie alle anderen und nach seinem Gusto. Nahbar für seine Spieler, mit klarer Kante und Handschrift, manchmal fast eine Spur zu viel Kümmerer. Wer sich allerdings auf des Trainers Empathie verlässt, kann eine Überraschung erleben. Nach einem Sieg, die Saison war gut gelaufen, hofften die Spieler auf zwei freie Tage. Hoeneß aber wollte noch etwas „einstudieren“. „Männer, wir trainieren.“ Als das gut lief, gab es die freien Tage zum Dessert.
Die Anhänger haben neuen Spaß an ihrem VfB entwickelt. Spieltickets zu bekommen, erfordert Zweikampfhärte. Die Bude ist voll, egal gegen wen. Der Fan-Nachwuchs kauft wieder VfB-Trikots. Die Jerseys von Haaland, Mbappe, Messi und Ronaldo liegen im Schrank. Wann hatte der Klub aus Cannstatt zum letzten Mal acht deutsche Nationalspieler?
Mit den Umsätzen wachsen die Erwartungen, und bei manchem die Sorge, ob es so rasant weitergeht. Und doch ist vielen klar, es braucht jetzt in der Vorstandsetage um Alexander Wehrle etwas Mut und wenige, aber kluge Transfers. Die Zeit der gezielten Investments ist gekommen.
Auch auf internationalen Märkten gibt es Luft nach oben. Der VfB hat im Beritt von Marketing-Vorstand Rouven Kasper enorm Boden gutgemacht, aber mancher hängt der Idee nach, als regionale Größe ließe es sich ebenso gut existieren. Nach prominenten Spieler-Abgängen über die vergangenen Jahre und Neuzugängen, die bisher vor allem die Kaderbreite bedienen, wäre angesagt, Sportvorstand Fabian Wohlgemuth mit klaren Ansagen loszuschicken.
Der Klub ist in der Pflicht, damit der Trainer nicht irgendwann die Geduld verliert und der VfB eine große Chance verspielt. Auch diese Variante geistert um das Klubzentrum. Immerhin scheint die Zeit der Sonnenkönige im Management vorbei. In der umtriebigen Führungsetage herrscht (vorerst) Ruhe. Und trotzdem, erstklassig besetzt ist der VfB vor allem mit dem Trainerposten. Der Mann des Umschwungs jedenfalls macht lieber, als großspurig anzukündigen, obwohl der Plan ist, den Patienten zurück in die Liga-Spitze, und aufs internationale Parkett, zu tragen.
Oder wie es Hoeneß senior sagt: „mit dem VfB so erfolgreich wie möglich zu sein.“ Inzwischen ist die Ausstiegsklausel aus dem Trainervertrag des 43-Jährigen verschwunden, „weil ein solides Vertrauensverhältnis da ist.“ Der Vertrag ist bis 2028 verlängert. Die Vergangenheit im Jugendtrikot des VfB schuf vom Start weg Identifikation. Dazu der Reiz, das Potenzial des Klubs zu wecken. „Das alles hat maßgeblich zur Entscheidung beigetragen“, sagt der 72-jährige Vater. Und dann standen die beiden im Berliner Olympiastadion. Am 24. Mai, kurz nach 22 Uhr. Der Pokal hatte Höhenluft geschnuppert, die Anhänger hörten nicht auf zu singen und die Spieler tanzten um die Wette. Der jüngere und der ältere Hoeneß klammerten sich an ein TV-Mikrofon und einer dieser besonderen Vater-Sohn-Momente versprühte seinen Charme. Vor aller Augen und doch, ganz weit weg vom Trubel, fast wie wenn im (Münchner) Hause Hoeneß Oma und Opa ein paar Tage die Hauptrolle spielen.
Text: Oliver Trust, Foto: Maks Richter