Nachhaltigkeit, Materialität, Baurecht, visionäres Bauen und vieles mehr: Im Interview mit top magazin streifte Stephan Fuchs vom Architekturbüro Fuchs Wacker mit Sitz am Stuttgarter Hafen eine ganze Reihe aktueller Themen.
top: Herr Fuchs, welche Trends lassen sich momentan denn in der Wohnungsbau-Architektur ausmachen?
Fuchs: Wenn ich für unser Architekturbüro spreche, dann ist eindeutig festzustellen, dass sich die Menschen mehr denn je nach Licht und Luft sehnen. Das Leben in den eigenen vier Wänden wird gerne nach draußen erweitert. Deshalb spielt Glas als Material beim Bauen eine ganz wesentliche Rolle. Es ist zum einen eine thermische Trennung und in diesem Punkt annähernd so effizient wie Mauerwerk, lässt aber zugleich die Natur bis in die Innenräume hinein wirken und weitet den Blick. Auch kleinere Räume entfalten dadurch eine ganz andere Wirkung. Man fühlt sich nicht so eingesperrt. Glas versetzt einen gewissermaßen in eine Beobachterposition. Man bekommt mit, was draußen passiert, sitzt aber ganz entspannt in seinem Rückzugsraum. Der Wunsch vieler Bauherren nach Privatsphäre und Uneinsehbarkeit ist sehr groß. Aus diesem Grund ist es uns wichtig, Blickachsen zu schaffen und die Räume nach hinten in den Garten zu öffnen.
top: Und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus? Der Klimawandel bringt ja immer höhere Temperaturen mit sich. Viel Glas erfordert dann mehr Kühlung, was wiederum die CO2-Emissionen steigen lässt.
Fuchs: Das ist richtig. Deswegen muss man beim Bauen mit Glas sehr genau auf die bestmögliche Verschattung des Hauses achten. Wir lösen dies in unseren Bauten zum Beispiel durch auskragende Balkone. Gleichzeitig darf es nicht so weit gehen, dass im kalten Winter die Sonne nicht in den Kern des Hauses vordringt. Beim Bauen mit Glas muss man also immer auch den Wärmehaushalt berücksichtigen.
top: Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit überhaupt beim Bauen?
Fuchs: Das ist schon seit Jahren ein Riesenthema. Alle Bauherren wünschen sich ein Höchstmaß an Nachhaltigkeit. Wenn wir in diesem Punkt aber bautechnisch alle Knöpfe drücken, die wir drücken könnten, würde das die Mehrkosten und die damit verbundene Amortisationszeit enorm nach oben treiben. Davor scheuen dann viele Bauherren wieder zurück.
top: Mit welchen Materialien arbeiten Sie abgesehen von Glas?
Fuchs: Im Innenbereich vorzugsweise mit Holz, Sichtbeton, Stoff und Leder. Wir lassen dabei jeder Materialität ihre ganz eigene Farbe – quasi als Ausdruck von Individualität. Unser Anspruch ist es, für die Bauherren kein unterkühltes, sondern ein warmes Zuhause zu schaffen. Deswegen gehen wir sehr stark in die Details und legen großen Wert auf die Materialität. Und wir beziehen auch die Gartenarchitektur in die Gesamtplanung mit ein, da wir – wie eingangs schon angedeutet – dem Außenbereich
einen sehr hohen Stellenwert beimessen.
top: Sie bauen auch viel am See und im Süden wie etwa in Italien. Können Sie dort Ihren Stil auch umsetzen?
Fuchs: Unbedingt, denn genau deswegen wollen die Kunden ja mit uns bauen. Wir versuchen zwar immer, das jeweilige Lokalkolorit zumindest zu einem gewissen Grad zu integrieren. Aber die Bauherren schätzen gerade unser scharf umrissenes Profil. Andernfalls, so sagen viele, hätten sie ja auch ein Architekturbüro aus ihrer Region mit dem Bauprojekt beauftragen können.
top: In Regionen mit hohen Temperaturen muss man ja aber sicher ganz anders denken.
Fuchs: Absolut. Während man bei uns hier förmlich die Sonne sucht, muss man etwa im Süden von Frankreich und Italien oder auf Mallorca und in Südafrika in Schattenplätzen denken und darf bei der Planung den Tagesablauf der dort lebenden Menschen mitsamt Temperaturverlauf und Sonnenstand keinesfalls außer Acht lassen. Aber egal, wo wir bauen, letztlich bewegen wir uns immer in einem Korsett mit fünf zu berücksichtigenden Parametern, um die sich alles dreht: Topographie, Geografie, Land, Baurecht und Erschließung.
„Grundsätzlich würde ich mir ein deutlich visionäreres Denken in den Städten wünschen.“
top: Stichwort Baurecht: Ist Deutschland in diesem Punkt besonders streng?
Fuchs: Streng ist es eigentlich überall, aber man kann es ja unterschiedlich auslegen. Und in Stuttgart zum Beispiel wird es immer am negativsten ausgelegt. Soll heißen: Kreative Ideen spielen überhaupt keine Rolle, es geht nur um Formalismen und die Einhaltung der Regeln. Aus diesem Grund geben zum Beispiel unsere Bauherren viel Geld für die Innenarchitektur aus. Für Räume, die sie gestalten können, ohne dass ihnen das Baurechtsamt reinreden kann – quasi als letzte Rückzugsbastion.
top: Viele Architekten stören sich an der Überreglementierung im deutschen Baurecht. Sie auch?
Fuchs: Ja, denn viele Vorschriften sind einfach nicht durchdacht. Laut Verordnung müssen wir beispielsweise auf jedes neu gebaute Haus eine Solaranlage draufpacken. Gleichzeitig steht in der Verordnung, dass jedes Flachdach über eine Dachbegrünung verfügen muss. Man muss also zwischen den Modulen der Solaranlage einen 30 Zentimeter breiten Streifen für die Dachbegrünung einplanen, andernfalls gibt es keine Baugenehmigung. Auf der anderen Seite bringen uns die vielen einzuhaltenden Vorschriften auch einen Know-how-Vorsprung, wenn wir zum Beispiel für deutsche Kunden im Ausland bauen und es darum geht, ein Haus so zu dämmen, dass es ein Bauphysiker abnimmt und es keine Wärmebrücken gibt. Denn die deutschen Kunden legen durchaus Wert auf diesen Standard. Und wir wissen, wie es geht.
top: Spielt die KI bei der Planung schon eine Rolle?
Fuchs: Spaßeshalber geben wir der KI schon immer wieder mal einzelne Aufgaben. Doch da kommt bislang sehr viel Unsinn raus.
top: Wie stehen Sie zum „Smart Home“?
Fuchs: Das war mal ein großes Thema, allerdings ist das total vernetzte Haus mit vielen Problemen behaftet. Die für ein „Smart Home“ notwendige Programmierung im Hintergrund ist extrem komplex und führt bei Fehlern schnell dazu, dass die Systeme nicht so funktionieren, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Ich ziehe bei unseren Bauherren daher meistens mit voller Kraft an der Handbremse, wenn sie ein „Smart Home“ in Erwägung ziehen.
top: Wie könnte Bauen im Jahr 2050 aussehen?
Fuchs: An der Stein-auf-Stein-Lösung wird sich meiner Überzeugung nach nicht viel ändern. Ich würde mir aber schon sehr viel früher neue Wohnkonzepte wünschen. Und zwar dahingehend, dass die zur Verfügung stehende Grundstücksfläche für den Wohnanteil bestmöglich genutzt wird. Das wäre angesichts der hohen Preise für Grund und Boden ein echter Mehrwert. Grundsätzlich würde ich mir auch noch ein deutlich visionäreres Denken in den Städten wünschen. In Stuttgart hätte man zum Beispiel nach dem Abriss der Messe auf dem Killesberg eine Art „Weissenhofsiedlung 2“ errichten können. Diese Chance wurde komplett vertan. Was da oben entstanden ist, bereitet mir bis heute Magengeschwüre. Auch das Stuttgarter Hafengelände wäre ein Paradies für innovative Wohnbaukonzepte und lebenswerte Stadtentwicklung. Dafür bräuchte man aber den entsprechenden politischen Gestaltungswillen, der leider nicht erkennbar ist. Es fehlt an den entscheidenden politischen Stellen an Machern, die keine Angst davor haben, möglicherweise auch mal Fehler zu machen.
Das Gespräch führten Kirsi Wilhelm und Matthias Gaul
Fotos: Fuchs, Wacker. Architekten