Im Gespräch mit Michael Antwerpes

„IN ZEHN JAHREN WIRD ES WOHL KEIN LINEARES FERNSEHEN MEHR GEBEN“

Kaum ein Gesicht steht so lange für seriöse, empathische und gleichzeitig unterhaltsame Sportberichterstattung im deutschen Fernsehen wie das von Michael Antwerpes. Über Jahrzehnte hinweg hat er Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Biathlon und die Tour de France moderiert – und sich überdies mit der Quizsendung „Sag die Wahrheit“ einen Platz im Unterhaltungsbereich gesichert. Im Interview mit top magazin spricht er über die Faszination seines Berufs, das Leben zwischen Emotion und Information, den Strukturwandel der öffentlich-rechtlichen Medien – und warum Insektenessen im Fernsehen nicht immer eine gute Idee ist.

top: Herr Antwerpes, Sie sind seit Jahrzehnten insbesondere im Sportjournalismus aktiv. Was fasziniert Sie an diesem Beruf nach all den Jahren?
Antwerpes: Es ist vor allem die Nähe zu echten Emotionen. Ich bekomme als Sportmoderator beides mit – Sieg und Niederlage. Ich bin hautnah dran an Menschen, die in Sekunden alles gewinnen oder verlieren. Ob Freude oder Trauer, Triumph oder Scheitern: Diese emotionalen Ausbrüche, diese Authentizität – das ist für mich ein echter Antrieb. Außerdem durfte ich durch meinen Beruf alle Kontinente dieser Welt kennenlernen.

top: Was bedeutet die hohe Emotionalität für Ihre Rolle als Moderator – besonders direkt nach dem Wettkampf?
Antwerpes: Zum Glück bin ich ein recht empathischer Mensch, und so entwickelt man mit der Zeit ein Gespür dafür, was man fragen kann und was nicht. Als Interviewer habe ich da auch eine große Verantwortung. Wo hole ich jemanden emotional ab? Ob ich noch mal nachbohren kann oder ob ich es besser lasse. Gerade nach einem Wettkampf ist das entscheidend.

top: Gibt es Highlights, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Antwerpes: Auf jeden Fall. Zum Beispiel Matthias Steiner 2008 in Peking – er holte überraschend Gold im Gewichtheben und widmete den Erfolg seiner bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Frau. Das war unglaublich emotional. Oder Magdalena Neuner, die 2007 mit 18 Jahren drei Goldmedaillen bei der Biathlon-WM in Antholz holte. Sehr schöne Erinnerungen habe ich auch an die Zeit, als mir Boris Becker als Experte beim Tennisturnier in Wimbledon zur Seite stand – ein absoluter Ausnahmemensch. Und natürlich das WM-Viertelfinale 2006: Jens Lehmann hielt den Elfmeter gegen Argentinien, nachdem ihm Oliver Kahn einen Zettel zugesteckt hatte – und ich interviewte Angela Merkel auf der Ehrentribüne. Das sind Momente, die bleiben.

top: Wie war Merkel als Interviewgast?
Antwerpes: Diplomatisch. Sie hat mitgejubelt, klar, aber wirklich persönliche Dinge rückte sie nicht raus. Zwei, drei Fragen – dann war sie auch schon wieder weg.

„Solange die Qualität stimmt, merken die Zuschauer nicht immer, ob man wirklich dort ist oder nicht.“

top: Wie bereiten Sie sich auf Interviews oder Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Tour de France vor?
Antwerpes: Ich bin kein Freund der allumfassenden Vorbereitung. Klar, man kennt die Eckdaten, aber ich will mir wirklich meine Neugier erhalten. Wenn ich zu viel weiß, frage ich womöglich auf einem Wissensniveau, das der Zuschauer nicht besitzt und deshalb das Ganze gar nicht nachvollziehen kann. Bei den Großereignissen erstelle ich ein gewisses Grundgerüst, der Rest muss tagesaktuell entstehen. Ich kann ja schließlich nicht wissen, ob zum Beispiel bei der Tour de France am dritten Tag ein Massensturz passiert und die beiden Favoriten rausfliegen. Aber genau das macht ja die Live-Übertragung von Sportveranstaltungen so spannend. Mittlerweile kann ich solche Events recht entspannt angehen – ich kann mir aufgrund meiner Erfahrung keine Situation vorstellen, die mich wirklich in Stress bringen würde. Außerdem habe ich hier und da Top-Leute in der Redaktion, die mich mit Informationen beispielsweise auch zu Land und Leuten füttern.

Foto: Privat

top: Was hat sich in der Sportberichterstattung am meisten gewandelt?
Antwerpes: Früher war vieles unkomplizierter. Da hat man am Samstag nach einem Spiel beim VfB angerufen, und der Torschütze saß am nächsten Abend ins Studio. Heute ist das undenkbar. Die Zugänglichkeit zu den Stars hat sich verändert. Auch durch Social Media. Und was die Produktionsweise betrifft: Früher war nicht die Frage, ob wir zu den Olympischen Spielen gehen, sondern mit wie viel Menschen. Heute sitzen aus Spargründen die meisten im Sendezentrum in Deutschland.

top: Geht da nicht was verloren?
Antwerpes: Ein bisschen schon. Natürlich ist es intensiver, wenn ich das 100-Meter-Finale im Stadion erlebe. Aber am Ende zählt ja, wie gut ich das als Moderator oder Reporter vermitteln kann. Solange die Qualität stimmt, merken die Zuschauer nicht unbedingt, ob man wirklich dort ist oder nicht.

top: Schauen Sie sich auch Sportberichterstattungen der Konkurrenz an?
Antwerpes: Nur gelegentlich. Ich verfolge schon, wie die Kolleginnen und Kollegen vom ZDF beim Biathlon berichten. Aber ich bin kein „Heavy-User“, habe weder  Sky- noch DAZN-Abo. Manchmal schaue ich über Amazon Prime ein Champions-League-Spiel an. Ins Stadion gehe ich ehrlich gesagt nur selten – ich scheue diese Menschenmassen.

top: Gibt es eine Sportart, die Sie selbst ausüben oder die Sie als Zuschauer besonders begeistert?
Antwerpes: Ich fahre leidenschaftlich gern Rennrad – seit drei Jahren zusammen mit meiner Frau. Das gibt mir ein besseres Verständnis für die Leistung der Profis. Wenn man selbst mal über einen Pass gefahren ist, dann ahnt man, was da körperlich gefordert ist.

top: Was würden Sie jungen Menschen raten, die eine Karriere im Sportjournalismus anstreben?
Antwerpes: Sie sollten sich so vielseitig wie möglich aufstellen, mehrere Praktika machen und überall reinschnuppern. Das Wichtigste ist für mich tatsächlich, dass man gut mit der deutschen Sprache umgehen kann und weiß, wie man sie in welchen Situationen einsetzt. Eine gute journalistische Ausbildung halte ich deshalb für unerlässlich. Und klar: Eine Leidenschaft für Sport sollte schon auch vorhanden sein.

„DER RUHESTAND WILL GUT VORBEREITET SEIN.“

top: Sie sind nicht nur Sportmoderator, sondern seit 2003 auch Gastgeber der Unterhaltungssendung „Sag die Wahrheit“. Was macht den Reiz daran aus?
Antwerpes: In der Unterhaltung kann ich mehr von mir selbst zeigen. Im Sport bin ich eher ein neutraler Vermittler. Bei „Sag die Wahrheit“ darf ich spontan sein, auch mal einen Witz machen. Das war anfangs ungewohnt, aber ich habe schnell gemerkt, wie viel Spaß das bringt. Ich kann frontal in die Kamera sprechen, mit dem Rateteam interagieren – das ist ein schöner Ausgleich.

top: Wer sucht die Kandidatinnen und Kandidaten aus?
Antwerpes: Welche Geschichten in die Sendung kommen, ist Sache der Redaktion hier in Stuttgart. Die Kandidatenauswahl erfolgt dann durch unsere Partnerfirma UFA Show & Factual in Köln, die das Format im Auftrag des SWR mitproduziert. Alle Kandidaten werden zuvor besucht oder man macht mit ihnen ein Videointerview, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sie sich vor der Kamera verhalten. Viele sind auch schon fernseherprobt, die UFA produziert ja auch viele andere Formate und verfügt über eine große Personenkartei.

top: Gab es in der Sendung mal einen besonders absurden Moment?
Antwerpes: Oh ja, viele. Wir hatten zum Beispiel mal einen Insektenkoch aus Berlin. Der brachte Schoko-Grashüpfer, die wir dann probierten. Anfangs dachte ich: Okay, ist wie Cornflakes mit Schokolade. Aber die Flügel bekam man schlecht gekaut! Das war schon ein seltsames Gefühl – und das hat man mir glaube ich auch angesehen.

top: Wie wichtig ist die Chemie im und mit dem Rateteam?
Antwerpes: Sehr wichtig. Wir versuchen, die Teambesetzung möglichst konstant zu halten. Smudo ist fast so lange dabei wie ich. Diese Vertrautheit überträgt sich auch auf unser Publikum. Wenn jede Woche vier andere Personen in der Jury säßen, ginge viel verloren.

top: Wie geht es mit solchen Formaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Zeiten von Sparmaßnahmen und Digitalisierung weiter?
Antwerpes: „Sag die Wahrheit“ hat das Glück, noch bis mindestens 2027 im SWR-Fernsehen bleiben zu dürfen. Andere Formate wie etwa „Meister des Alltags“ werden nicht mehr produziert. Der Umbau in Richtung digitales Fernsehen schreitet rasant voran, die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Ich glaube, in zehn Jahren wird es kaum noch lineares Fernsehen geben. Überdies muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Strukturen schlanker und effizienter werden. Es macht keinen Sinn, dass jede Anstalt alles macht, in eigenen Abteilungen. Grundsätzlich müssen wir müssen dort hingehen, wo unser Publikum ist. Für die Älteren lineares Programm oder auch die Mediathek, für die Jüngeren YouTube, Instagram etc.

top: Sie engagieren sich auch sozial unter anderem im Kuratorium der Deutschen Kinderkrebsnachsorge oder als Mitinitiator des Vereins BewegtEuch. Was treibt Sie dazu an?
Antwerpes: Ich empfinde mein Leben als privilegiert. Und wenn ich mit meinem Namen oder meiner Persönlichkeit Menschen helfen kann, denen es nicht so gut geht, dann tue ich das gern. Bei BewegtEuch ermöglichen wir Kindern Sport, die sich das sonst nicht leisten könnten. Gerade in Corona-Zeiten war das enorm wichtig.

top: Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft in einigen Jahren?
Antwerpes: In vier Jahren werde ich wahrscheinlich nicht mehr auf dem Bildschirm zu sehen sein. Ich bin aktuell der dienstälteste Sportmoderator der ARD und „Alterspräsident“ noch dazu. Aber ich werde in der Rente nicht stillsitzen – ich brauche ein Projekt, sonst wird es mir schnell langweilig. Vielleicht ein Ehrenamt. Oder vielleicht schreibe ich ein Buch über mein Leben. Der Ruhestand muss jedenfalls gut vorbereitet werden, sonst fällt man in ein Loch.

Das Gespräch führten Kirsi Fee Wilhelm und Matthias Gaul

Fotos: Maks Richter

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