Im Gespräch mit Sara Dahme


„Kultur existiert nur, wenn sie gelebt wird“


Ein Jahr Gemeinderat, viele Jahre Kulturarbeit und jetzt frisch nominierte SPD-Landtagskandidatin: Im Gespräch mit top magazin bezieht die 41-jährige Stuttgarter Kulturvermittlerin und Kommunalpolitikerin Sara Dahme unter anderem Stellung zum Thema Teilhabe, ihrem Engagement für eine offene Stadtgesellschaft und die nächste Landtagswahl.

top: Sara, du bist jetzt seit rund einem Jahr Gemeinderätin in Stuttgart. Wie fällt deine bisherige Bilanz aus?
Sara: Zunächst einmal wusste ich ehrlich gesagt nicht so genau, was mich dort erwartet. Wenn man vorher mit Menschen spricht, was ein Gemeinderat eigentlich macht, bekommt man die unterschiedlichsten Aussagen – aber kaum etwas Konkretes. Ich bin also ziemlich offen in dieses Gremium reingegangen und war positiv überrascht. Die Arbeit ist zeitintensiv, inhaltlich aber überaus spannend. Ich sitze zum Beispiel im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen und im Ausschuss für Stuttgart 21 & Rosenstein und IBA 27. Da lerne ich unglaublich viel. Die jeweiligen Fachreferenten geben einem viele Impulse und stellen interessante Projekte vor. Das Tollste war aber, dass ich schon in der ersten Sitzung das Gefühl vermittelt bekam, ganz selbstverständlich dazuzugehören. Ich war also sofort Teil des Ganzen.

top: Wie kamst du überhaupt in die Politik?
Sara: Das war letztlich ein Prozess. Ich habe schon immer gerne größere Projekte realisiert, war aktiv in der Kunst-, Kultur- und Bildungslandschaft. Dann kam der KULTUR KIOSK in Stuttgart – ein Ort für Veranstaltungen, Austausch, Sichtbarkeit. Da war die Zusammenarbeit mit der Stadt sehr eng, etwa mit dem Kultur- und Stadtplanungsamt. Ich habe gemerkt, wie viel dort entschieden wird – und wie wichtig es ist, Teil dieser Entscheidungsprozesse zu sein. Bei einer Veranstaltung im KULTUR KIOSK zur queeren Pflege im Alter sprach mich dann Jasmin Meergans von der SPD an und fragte, ob ich nicht mal über Politik nachgedacht hätte. Und da dachte ich: Stimmt. Jeden Tag. Es nervt mich so oft, dass ich nur zuschaue. Warum also nicht selbst machen? So kam eines zum anderen.

top: Warum ausgerechnet die SPD?
Sara: Ich komme aus einem Elternhaus, das immer SPD wählte. In meiner Jugend habe ich dann aus Protest die Linken gewählt, später auch mal die Grünen. Aber letztlich bin ich tief in den Grundwerten der SPD verankert: Chancengleichheit, Teilhabe, soziale Gerechtigkeit. Wenn es um die Frage geht, wie wir eine Gesellschaft gemeinsam gestalten wollen, ist die SPD für mich die geilste Partei.

top: Was muss die SPD besser machen?
Sara: Lauter sein. Wir machen so viel Gutes – aber wir sprechen nicht darüber. Das war früher vielleicht schick: einfach machen. Heute müssen wir erklären, mitnehmen, transparent sein. Es gibt tolle Leute in der Partei, die das können. Wir müssen es schaffen, den Menschen unsere Inhalte gut zu vermitteln und sie mitzunehmen.

top: Könnte in dieser Hinsicht Rückenwind aus Berlin kommen?
Sara: Auf jeden Fall. Allerdings fällt es vielen Menschen schwer, kommunale Landespolitik und Bundespolitik voneinander zu trennen. Vieles, was in Berlin gesagt und getan wird, fällt dann auf die gesamte Partei zurück. Insofern muss es Aufgabe der SPD im Land sein, die inhaltlichen Schwerpunkte hier vor Ort noch deutlicher herauszuarbeiten.

„Ich glaube fest daran: Politik beginnt mit einem Gespräch.“

top: In Baden-Württemberg steht 2026 die nächste Landtagswahl an. Was erhoffst du dir ganz persönlich als gerade erst nominierte Kandidatin und generell für die SPD?
Sara: Ich hoffe, dass wir uns als das präsentieren können, was wir sind: als sehr starkes Team mit extrem tollen Frauen. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir, dass im nächsten Landtag noch viel mehr Frauen und außerdem Menschen aus allen Altersklassen mit den unterschiedlichsten Bildungshintergründen vertreten sein werden. Insgesamt sehe ich dafür große Chancen.

top: Welche konkreten Themen willst du im Wahlkampf in den Mittelpunkt stellen?
Sara: Ganz klar die Kultur als Standortfaktor und als verbindende Kraft. Aber auch die Frage, wie wir für eine visionäre Zukunftsgestaltung des Wirtschaftsstandorts Stuttgart junge ausgebildete Talente in der Region halten können. Die Region Stuttgart ist wirtschaftlich stark, aber wir verlieren zahlreiche Talente, weil die Verknüpfungen zwischen Hochschulen und Unternehmen ausbaufähig sind. Ein weiteres, seit Jahrzehnten aktuelles Thema, das mir am Herzen liegt, ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.

top: Siehst du dich schon im nächsten Landtag?
Sara: Auf jeden Fall, das wird ein Spitzenwahlkampf mit einem guten Ergebnis für die SPD.

top: Worauf freust du dich im Wahlkampf?
Sara: Auf die Gespräche. Auf das Draußensein. Ich will Formate schaffen, die keine klassischen Wahlkampf-Events sind, sondern echte Begegnungen. Ich glaube fest daran: Politik beginnt mit einem Gespräch.

top: Wie gewinnt man junge Menschen für die Politik?
Sara: Indem man ihnen zuhört und sie ernst nimmt. Ich arbeite mit einem Team, in dem einige erst Anfang 20 sind. Ich will nicht der klassische Polit-Profi sein, sondern auf Augenhöhe sprechen. Auf TikTok, in WhatsApp-Gruppen, aber auch live, auf dem Markt, im Verein. Es geht um Nahbarkeit, nicht um Parolen. 

top: Zurück zur Kultur: Was bedeutet dieses Thema für dich?
Sara: Für mich beginnt Kultur schon im Dialog. Zwei Menschen sprechen miteinander, tauschen sich aus – das ist der erste Schritt. Kultur ist für mich nicht das schöne Bild an der Wand oder der Opernabend in Frack und Kleid. Klar gehört das auch dazu, aber es ist viel mehr. Es ist das Public Viewing, das Pokalfinale auf dem Schlossplatz, wo Menschen zusammenkommen. Kultur existiert nur, wenn sie gelebt wird. Und das bedeutet auch, dass sie Orte braucht, wo Menschen sich begegnen können. Deshalb ist Kulturarbeit in einer Stadt so wichtig: Sie schafft Gemeinschaft, gibt Menschen eine Stimme und fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

top: In Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung ist das ja wichtiger denn je.
Sara: Absolut. Entscheidend kommt es vor allem auch darauf an, sich mit Menschen auszutauschen, denen man in seinem Alltag nicht so oft begegnet, und sich an deren Ansichten zu reiben. Daran wachsen wir, können Empathie entwickeln und nachvollziehen, warum andere Menschen im Alltag auf bestimmte Dinge und Sachverhalte möglicherweise anders reagieren als man selbst.

„Ich wünsche mir, dass junge Menschen kritisch bleiben und Fragen stellen.“

top: Wie empfindest du die Unterstützung vonseiten der Stadt Stuttgart für freie Kunst- und Kulturschaffende und wo besteht Optimierungsbedarf?
Sara: Also besser geht immer. Wenn man irgendwann mit einem Status quo einfach zufrieden ist, kann man einpacken. Ich persönlich empfinde die Kulturförderung der Stadt als sehr gut. Das Kulturamt leistet großartige Arbeit und ermöglicht viele neue Projekte. Klar wird immer über die Kosten und Haushaltseinsparungen diskutiert. Aber Zustände wie in Berlin werden wir hier in Stuttgart meiner Überzeugung nach nicht befürchten müssen.

top: Wie siehst du in diesem Kontext die Opernsanierung?
Sara: Meiner Ansicht nach werden Prestigeprojekte wie dieses oftmals symbolisch überhöht – politisch wie medial. Da geht es gar nicht mehr um den Ort an sich oder seine Inhalte. Das stört mich. Die Stuttgarter Oper ist zweifelsohne ein renommierter Ort, der sich über die Jahrzehnte entwickelt hat. Aber sie muss sich auch weiterentwickeln, und das nicht nur räumlich.

top: Welche Projekte oder Aktionen planst du persönlich aktuell, um politische Bildung und kulturelle Teilhabe weiter voranzutreiben?
Sara: Aktuell fehlt mir dazu ein wenig die Zeit. Ich begleite aber immer noch ein Projekt am Wolfsburger Kunstmuseum. Dort haben Mitarbeiter des Museums im Jahr 2021 gemeinsam mit Schülern des Max-Born-Gymnasiums Backnang, an dem ich unterrichte, damit begonnen, die Plattform „Studio Digital“ zu entwickeln, um eine neuartige Begegnung zwischen Schule und Museum im digitalen Raum zu schaffen. Darüber hinaus engagiere ich mich seit diesem Jahr als Vorstandsmitglied im aed Stuttgart und organisiere Veranstaltungen. Hinter dem aed verbirgt sich eine von Stuttgarter Ingenieuren,
Architekten und Designern gegründete
Initiative, deren Ziel es ist, die große Gestaltungskompetenz in der Region Stuttgart – vom Produkt- und Grafikdesign über Multimedia und Engineering bis hin zur Architektur – zu fördern und der Öffentlichkeit nahezubringen.

top: Du unterrichtest wie schon erwähnt als Kunstlehrerin am Max-Born-Gymnasium in Backnang. Was wünschst du dir von der jungen Generation in Bezug auf gesellschaftliches Engagement – und was möchtest du ihr mitgeben?
Sara: Ich wünsche mir, dass junge Menschen kritisch bleiben und Fragen stellen. Und dass sie wissen: Wenn sie sich nicht einbringen, entscheiden andere über ihr Leben. Aber ich will ihnen auch den Druck nehmen, eine Jugend darf schließlich auch unbeschwert sein. Ich als Lehrerin kann nur Impulse geben. Veränderungen muss die Jugend selbst generieren.

top: Wenn du in ein paar Jahren zurückblickst: Was würdest du in Stuttgart kulturell und politisch gerne erreicht haben?
Sara: Ich wäre zufrieden, wenn die Leute dann sagen: „Die hat gut zugehört, war offen und hat Dinge angestoßen.“ Ich will nicht das goldene Opernhaus bauen, sondern Räume für Austausch schaffen. Wenn mir das gelingt, war’s das wert.

Das Gespräch führten Kirsi Fee Wilhelm und Matthias Gaul

Fotos: Maks Richter

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