„Verbrennerverbot, Überregulierung und europäische Schulden werden unseren Wirtschaftsstandort nicht zukunftsfest machen“
Die am 7. Dezember 2021 als Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP euphorisch gestartete Bundesregierung fand am 6. November 2024 mit der Entlassung von Christian Lindner als Bundesfinanzminister durch Bundeskanzler Olaf Scholz sein überraschendes Ende. Im Interview mit top magazin Stuttgart blickt der FDP-Chef Christian Lindner zurück und sagt, worauf es jetzt seiner Meinung nach ankommt, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder nach vorne zu bringen.
top: Herr Lindner, die Ampelkoalition ist Geschichte. War das Aus rückblickend nicht schon längst überfällig? Uneinigkeit bei den verschiedensten Themen gab es ja schon seit geraumer Zeit.
Lindner: Wir haben uns im Jahr 2021 entschieden, politische Verantwortung in dieser Konstellation zu übernehmen, weil es keine andere Option für unser Land gab. Die Union war zum damaligen Zeitpunkt durch interne Zerrissenheit nicht regierungsfähig. Das Regierungsbündnis war jedoch auf einer fahrlässigen Umgangsweise mit dem Grundgesetz aufgebaut, nämlich dem Vorschlag von Olaf Scholz, 60 Milliarden Euro an Coronakrediten umzubuchen und für andere Projekte einzusetzen. Diese Praxis hat das Bundesverfassungsgericht schließlich beendet, wodurch unseren Koalitionspartnern das Geld für ihre Vorhaben fehlte und sie uns schließlich zum Bruch der Schuldenbremse zwingen wollten. Dass ich nicht darauf bestanden habe, den Koalitionsvertrag nach diesem Urteil neu zu verhandeln, muss ich auch mir selbst vorwerfen.
top: Hat das Bündnis aus Ihrer Sicht auch positive Spuren hinterlassen? Und wenn ja, welche?
Lindner: Als Koalition haben wir unser Land durch herausfordernde Zeiten geführt. Denken Sie nur an die Zeit unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, als die Energieversorgung unsicher schien. Durch gemeinsame Anstrengungen konnte ein kalter Winter verhindert werden. Auch konnten wir einige wichtige liberale Projekte anstoßen, wie die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei der Kalten Progression oder die Förderung von Brennpunktschulen. Um die großen strukturellen Probleme unseres Wirtschaftsstandortes anzugehen, fehlte jedoch am Ende die gemeinsame Problembewertung. Unsere ehemaligen Regierungskollegen scheinen die Dramatik der Situation nicht erkannt zu haben.
„Bei uns wird dem Thema Spielerschutz und Verantwortung größte Bedeutung beigemessen.“
top: Was ist tatsächlich dran an den Berichten, wonach die FDP das Ampel-Aus monatelang gezielt vorbereitet haben soll?
Lindner: Wir haben stets offen kommuniziert, dass wir diese Koalition nur weiter hätten tragen können, wenn sie eine echte Wirtschaftswende eingeleitet hätte. Als ersichtlich wurde, dass dies mit unseren Regierungspartnern nicht zu machen war, habe ich Olaf Scholz einen gemeinsamen, geordneten Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen. Das Ergebnis ist bekannt. Wie er später eingeräumt hat, hatte er diesen Schritt ja bereits im Sommer schon erwogen.
top: Themenwechsel: Sie haben mehrfach betont, dass Deutschland umfassende Strukturreformen benötigt. Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken?
Lindner: Es ist offensichtlich, dass Deutschland nicht auf Dauer seine Spitzenstandards bei Sozialstaat, Umweltschutz und internationalem Engagement halten kann, wenn wir nicht auch bereit sind, spitzenmäßige Wirtschaftsleistungen möglich zu machen. Dafür müssen wir dringend das Arbeitsvolumen erhöhen. Mit Viertagewoche und gewaltigem Krankenstand wird das nicht gelingen. Wir müssen den Menschen wieder Lust auf Arbeit machen. Etwa, indem sich künftig jede einzelne Überstunde für Arbeitnehmer steuerlich lohnt. Wir leisten uns in Deutschland einen Sozialstaat, dessen Ausgaben schneller wachsen, als die Wertschöpfung hinterherkommt. Hier braucht es einen echten Paradigmenwechsel, hin zu einem System, das Leistung und Weiterbildung statt Untätigkeit fördert. Zudem sind die Belastungen durch Abgaben und Bürokratie in unserem Land nach wie vor viel zu hoch. Wir müssen unseren Unternehmen Luft zum Atmen geben, damit sie aus eigener Kraft erfolgreich die Zukunft gestalten können. Ein sofort umsetzbarer Schritt in diese Richtung ist die Abschaffung des Solis.
top: Wie bewerten Sie die aktuellen geopolitischen Entwicklungen und welche wirtschafts- und außenpolitischen Herausforderungen sehen Sie insbesondere angesichts eines drohenden Handelskriegs auf Deutschland und die EU zukommen?
Lindner: Man darf nichts beschönigen: Wir leben in herausfordernden Zeiten in einer zunehmend unsicheren Weltordnung. Deutschland muss mehr Verantwortung für die Sicherheit Europas übernehmen und kann sich nicht mehr blind auf den Schutz durch andere verlassen. Auch der zunehmende Protektionismus – gerade in den USA – stellt eine Gefahr für uns dar. Das heißt aber in keinem Fall, dass wir auf Distanz zu Amerika gehen sollten. Im Gegenteil, wir müssen im Gespräch bleiben und klarmachen, dass ein Handelskrieg nur Verlierer kennt. Das geht aber nur aus einer Position der Stärke heraus. Und dafür müssen wir dringend die deutsche Wirtschaft wieder auf die Erfolgsspur führen. Denn unser internationaler Einfluss ist untrennbar mit unserer Wirtschaftskraft verbunden.
„Die FDP hat durch das Ende der Koalition ein neues Momentum erhalten.“
top: Was erwarten Sie in diesem Punkt von Brüssel?
Lindner: Die EU muss sich wieder auf ihre Kernfunktion konzentrieren: den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen das Leben leichter zu machen, statt immer neue bürokratische Hürden hochzuziehen. Ganz egal, wie umfänglich eine künftige Bundesregierung Bürokratie abbaut, unsere Wirtschaft kann sich erst wieder frei entfalten und wachsen, wenn auch die EU-Kommission ihre Politik der erdrückenden Regulierungswut korrigiert. Hier sehe ich vor allem die CDU in der Pflicht, auf Frau von der Leyen einzuwirken, damit sie ihre wirtschaftsfeindliche Politik ändert. Verbrennerverbot, Überregulierung und europäische Schulden werden unseren Wirtschaftsstandort jedenfalls nicht zukunftsfest machen.
top: Die Haushaltslage lässt keine großen Spielräume zu. Wie können die angesprochenen Maßnahmen finanziert werden? Ein Aussetzen der Schuldenbremse war ja für Sie keine Option.
Lindner: Seit jeher betonen meine Partei und ich die Notwendigkeit, bei den Staatsausgaben stärker zu priorisieren, um das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verantwortungsvoller und effizienter einzusetzen. Der deutsche Staat verfügt über ausreichend Mittel, um seine Aufgaben zu erfüllen und wichtige Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Wofür nicht genug Geld da ist, sind immer neue Konsum-
ausgaben. Als alternde Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum können wir uns maßlose Neuverschuldung schlicht nicht leisten. Denn sie wäre nicht nur zutiefst unfair unseren Kindern und Enkeln gegenüber, sondern würde auch unsere Zinslast dramatisch erhöhen und die europäische Währungsunion destabilisieren.
top: Eines der größten Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist die Bürokratie, allein im kommenden Jahr rollt ein weiterer Tsunami an Gesetzen und Vorgaben der EU auf uns zu. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Überregulierung in Deutschland angesichts dieser Rahmenbedingungen zu reduzieren?
Lindner: Die deutsche Wirtschaft erstickt in staatlichen Vorgaben. Mutige Unternehmerinnen und Unternehmer werden bei Gründungen und Investitionen ausgebremst. Kluge Köpfe bei der Entwicklung neuer Technologien behindert. Die Politik muss aufhören, immer neue Überregulierung zu produzieren und das Land damit zu fesseln. Wir setzen uns dafür ein, Gesetze und Verordnungen mit einer sogenannten Sunset-Klausel, also einem konkreten Ablaufdatum auszustatten, nach dem ihre Sinnhaftigkeit überprüft wird. Außerdem wollen wir die von uns bereits eingeleiteten Entbürokratisierungsmaßnahmen fortsetzen, etwa indem wir die Berichtspflichten drastisch verschlanken. Einen ganz konkreten Vorschlag wird unsere Fraktion auch jetzt schon in den Bundestag einbringen: Wir wollen das deutsche Lieferkettengesetz abschaffen, um den Unternehmen mit sofortiger Wirkung eine große bürokratische Bürde abzunehmen.
top: Am 23. Februar 2025 wird in Deutschland gewählt. Die FDP steht laut jüngsten Umfragen unter Druck und könnte möglicherweise an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wie wollen Sie die Partei wieder als unverzichtbare Kraft in der deutschen Politik positionieren?
Lindner: Die FDP hat durch das Ende der Koalition ein neues Momentum erhalten. Viele Menschen begreifen uns wieder als Kraft der Freiheit, des Mutes und der marktwirtschaftlichen Vernunft. Es ist klar, dass unser Land dringend den politischen Aufbruch und die Wirtschaftswende braucht. Aber mit einer Ampel light wird das nicht gelingen – und nichts anderes wäre eine schwarz-grüne oder schwarz-rote Koalition. Die Menschen haben genug von linken Ideen, jetzt müssen wir das Land aus der Mitte nach vorne bringen. Und das geht nur mit der FDP.
top: Abschließende Frage: Was motiviert Sie persönlich in Ihrer Arbeit und woraus ziehen Sie Kraft und Zuversicht im harten politischen Alltag? Welche Ziele haben Sie sich für die nächste Zeit gesetzt?
Lindner: Seit dem Ende der Koalition kommen regelmäßig Menschen auf der Straße auf mich zu und wünschen mir Kraft und Erfolg im Wahlkampf, weil sie sich eine starke Stimme der Freiheit in Deutschland wünschen. Das motiviert mich ungemein.
Die Fragen stellten Matthias Gaul und Kirsi Fee Wilhelm
Fotos: Tristan Unkelbach